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29.05.2024, 13:30:37 / Sport
Fußball und Politik

Brutalos in Stadien

Polizeigewalt vor EM: Dachverband der Fanhilfen präsentiert Saisonbericht 2023/24 und fordert Sofortmaßnahmen. Polizei beschwichtigt – Fananwalt befürchtet Repressionsschub
Von Oliver Rast
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Auch auf dem Rasen: Spezialtruppe mit Schlagstock und Pfefferspray

Sie provozieren, sie schikanieren, sie eskalieren. Vor dem Anpfiff, während des Kicks, nach dem Abpfiff. Spieltag für Spieltag. Kurz gesagt, sie sind ein Sicherheitsrisiko für Fans: Einsatzkräfte. Alles nur Gerede? Eine Art Verschwörungserzählung? Mitnichten. Es ist belegt.

Der Dachverband der Fanhilfen veröffentlichte am Mittwoch seinen Saisonbericht 2023/24. Darin dokumentieren die Fanhelfer 24 Fälle von Polizeigewalt rund um den Fußballsport in der vergangenen Spielzeit der ersten vier Ligen dieses Landes. Exemplarisch, akribisch, detailliert.

Willkür und Exzesse

Im bundesweiten Dachverband haben sich rund zwei Dutzend lokale Fanhilfen organisiert. Über Vereinsgrenzen hinweg, ganz solidarisch. Dabei kooperieren die Fanhelfer mit Anwälten, begleiten Gerichtsprozesse und schaffen Öffentlichkeit. Längst sind sie zur kritischen Stimme geworden. Für Fanrechte, gegen Repression seitens Vereine, Verbände und Behörden.

Zurück zum Saisonreport: Fanhelfer berichten von Polizeikontrollen der Fanbusse, von Razzien in Zügen am Bahnhof, von Personalienfeststellungen und Rückführungen der Auswärtsfahrer. Oftmals willkürlich, oftmals überzogen. Ferner von polizeilichen Übergriffen im Stadionumfeld, beim Einlass, in Blöcken. Martialisch, beinahe paramilitärisch ist der Auftritt der sogenannten Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten (BFE). Eine Spezialtruppe, bei der Schlagstock und Pfefferspray besonders locker sitzen. Die Folge: verletzte, teils traumatisierte Zuschauer. Dutzendfach, hundertfach. Auch das ist belegt.

Etwa bei der Zweitligapartie von Hannover 96 beim FC St. Pauli im November 2023. BFE stürmten den »prallgefüllten Gästeblock, um sich anschließend unter wahllosem, massivem Einsatz von Reizgas Platz zu verschaffen«, so die Berichterstatter. Ohne Rücksicht auf Verluste. Anlass für den Einsatz seien Reibereien unter 96er-Fans gewesen, die indes bereits intern geklärt waren. Ein ähnlicher Gewaltexzess nur zwei Wochen später in Liga eins. In Frankfurt am Main beim Spiel der Eintracht gegen den VfB Stuttgart. Eine Festnahmesituation vor der heimischen Nordwestkurve artete zum 30minütigen Scharmützel zwischen Polizisten und Ultras aus. Und beim Kick der Magdeburger bei Hertha BSC im Februar 2024 veranstaltete die Berliner Polizei Fanhelfern zufolge eine »Materialschlacht und Leistungsschau«. Neben »Szenekundigen Beamten« (SKB) schnüffelten selbst Spürhunde nach Bengalos und Rauchtöpfen beim Gästeanhang.

Fankultur in Gefahr

Vorfälle, die »einen dunklen Schatten auf das freie und selbstbestimmte Stadionerlebnis werfen«, betonte der Vorstand des Fanhilfendachverbands. Die bunte und kreative Fankultur, die »für einen Großteil der Zuschauer den Besuch eines Fußballspiels erst so richtig lohnenswert macht«, würde dadurch gefährdet.

Davon wollen Behördenvertreter nichts wissen. Denn die eingesetzten Polizeikräfte handelten schlicht im Rahmen der gesetzlichen Befugnisse, meinte jüngst ein Sprecher des Polizeipräsidiums Bochum auf jW-Nachfrage. Die BFE seien hierbei als spezialisierte geschlossene Einheiten tätig, und der Einsatz von Reizgas als Hilfsmittel der körperlichen Gewalt erfolge nach rechtlichen Vorgaben. Punktum.

Beschwichtigungen, sonst nichts, entgegnete Fananwalt René Lau am Mittwoch im jW-Gespräch. Die Staatsmacht habe im Vorfeld der Europameisterschaft (EM) kräftig aufgerüstet. Und niemand solle ernsthaft glauben, »dass nach dem EM-Finale wieder abgerüstet wird«. Ist die »Tür für mehr Repression« auch nur einen Spaltbreit offen, werde sie von Hardlinern der Innenpolitik sperrangelweit aufgerissen, befürchtet Lau.

Das sehen die Fanhelfer vom Dachverband ähnlich. Sie fordern: etwa eine Klarstellung seitens des DFB und der EM-Turnierleitung, »Terroristen und Fans nicht zu vermischen«, ein flächendeckendes Pfeffersprayverbot für die Polizei in Stadien und nicht zuletzt einen Runden Tisch »Polizeigewalt«.

Fazit: Eine weitere Eskalation durch Polizeigewalt werde nicht kommentarlos hingenommen, versichern sie. Fans und Öffentlichkeit müssten sich dem entgegenstellen. Lautstark.

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