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Aus: Ausgabe vom 04.06.2024, Seite 1 / Titel
Hochwasser in Süddeutschland

Vor uns die Sintflut

Hochwasser: Mindestens vier Todesopfer, Politiker posieren in Gummistiefeln. BRD verfehlt eigene Klimaziele
Von Marc Bebenroth
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In den Schoß konnte er die Hände nicht legen: Ministerpräsident Markus Söder (3. v. l.) neben Kanzler Olaf Scholz (2. v. r.) am Montag in Reichertshofen

Sie stehen hinter einem kleinen Wall aus Sandsäcken, die andere aufgetürmt haben, schauen auf die Wassermassen und posieren für die im Wahlkampf vermeintlich nützlichen Bilder. Am Montag haben vom Kanzler bis zum Landesinnenminister Regierungspolitiker an ausgewählten Schauplätzen in Süddeutschland die Gummistiefel übergestreift. Hochwasser überschwemmt hier weiterhin Ortschaften und Verkehrswege. »Die Lage ist und bleibt ernst und kritisch und angespannt«, sagte Ministerpräsident Markus Söder (CSU) im oberbayerischen Reichertshofen. Für den Osten des Freistaats gelte: »Die werden steigen, die Pegel.« Auch weiter westlich müsse damit gerechnet werden, »dass wir so was häufiger bekommen«, sagte Söders Amtskollege Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen) in der baden-württembergischen Gemeinde Meckenbeuren.

Den Fluten sind mittlerweile mindestens vier Menschen zum Opfer gefallen. In einem Haus in Schorndorf im Rems-Murr-Kreis wurden am Montag die Leichen eines Mannes und einer Frau gefunden. Zuvor waren in Bayern ebenfalls zwei Tote geborgen worden, darunter ein Feuerwehrmann. Die Suche nach einem im Hochwasser vermissten Feuerwehrmann in Offingen hielt bis jW-Redaktionsschluss am Montag noch an.

Söders Kabinett wolle sich an diesem Dienstag mit angeblich schnellen sowie »unbürokratischen« Hilfen befassen, wie der Ministerpräsident ankündigte. Tatsächlich hatte der Freistaat zum 1. Juli 2019 die Zahlung regulärer Hilfen bei Naturkatastrophen auslaufen lassen. »Wie in anderen Lebensbereichen gelten auch beim Schutz gegen Elementargefahren die Grundsätze der Eigenverantwortung und Eigenvorsorge«, erklärte damals ein Sprecher des Finanzministeriums laut dpa. Zuvor waren bereits geplante Flutpolder, also eingedeichte Flächen zur gezielten Flutung bei Hochwasser, im Zuge der Koalitionsverhandlungen der CSU mit Hubert Aiwangers Freien Wählern wieder gestrichen worden.

»Wir werden also die Aufgabe, den menschengemachten Klimawandel aufzuhalten, nicht vernachlässigen dürfen«, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) angesichts der Extremwetterlage am Montag bei seinem Besuch in Reichertshofen. Auch dies sei »eine Mahnung, die aus diesem Ereignis und dieser Katastrophe mitgenommen werden muss«. Derweil hat in Berlin der sogenannte Expertenrat für Klimafragen der Bundesregierung diese dazu aufgerufen, mehr zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen zu tun. Der Grund: Die Prognosen des Umweltbundesamtes dahin gehend seien keinesfalls geeignet, um vom Einhalten der selbstgesteckten Klimaschutzziele auszugehen.

»Der Expertenrat hält die projizierten Emissionen in den Sektoren Energie, Gebäude und Verkehr sowie – mit Einschränkungen – auch in der Industrie für unterschätzt«, erklärte der Vorsitzende Hans-Martin Henning am Montag in Berlin bei der Vorstellung des 138 Seiten langen Sonderberichts. Die Emissionen der BRD würden bis zum Jahr 2030 »substantiell sinken«, aber vermutlich weniger stark als vom Bundesamt angenommen. Aktuelle Entwicklungen seien in den überprüften Daten nicht enthalten, »insbesondere die Kürzungen im Klima- und Transformationsfonds, aber auch veränderte Markterwartungen für Gaspreise und CO2-Zertifikatspreise«. Der Regierung drohe eine »Zielverfehlung«. Kümmern muss diese das jedoch nicht. Rechtlich ist sie erst beim nächsten Bericht dieser Art zum Handeln verpflichtet.

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  • Leserbrief von Holger K. aus Frankfurt (3. Juni 2024 um 22:53 Uhr)
    Schnell sind all die Staatsfiguren vor einem Katastrophenort, zeigen Betroffenheit, so jedenfalls beteuern sie diese, schnallen sich Gummistiefel über, versprechen schnelle Hilfe und weg sind sie. Es hat sich bei den Ahrtal-Geschädigten bald gezeigt, dass von schneller Hilfe des Staates bzw. des Landes keine Rede sein kann. Ellenlange Anträge müssen zeitkostend eingereicht werden und dann dauert und dauert es, bis tatsächlich Hilfe kommt. Die Reichen werden dabei großzügiger entschädigt als die Armen, da Villenschäden anders bewertet werden, als beim kleinen Häuschen oder Mietwohnung. Wie auch immer, die Entschädigungen des Staates decken nicht den vollen Schaden, wehe, wer da nicht versichert ist. Aber auch dann folgt noch lang nicht ein schneller und gemütlicher Spaziergang, denn auch da wird geprüft ohne Ende. Sorgt das jeweilige Bundesland und der Bund für ausreichende Handwerker vor Ort? Ach woher, so weit reicht die Verbundenheit mit der heimischen Bevölkerung nun wieder auch nicht. Und wie sieht es mit den allgemeinen Schutzmaßnahmen wie Dämme und Retentionsräume für Bäche und Flüsse aus? Auch da hapert es. Wäre der Staat verantwortlich gegenüber seinen Bürgern, hätte er längst angemessene Schutzmaßahmen treffen müssen, schließlich sind Naturkatastrophen nicht so überraschend, wie die Geburt eines Kindes durch eine Jungfrau. Nun.ja, »dafür« trägt der hiesige Staat um so mehr Verantwortung weltweit, denn am deutschen Wesen soll ja die Welt genesen.
  • Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (3. Juni 2024 um 20:45 Uhr)
    Politsäcke vor Sandsäcken. Der Vorteil der Sandsäcke? Sie sind wenigstens noch zu etwas nütze und labern kein dummes Zeug daher.