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Aus: Ausgabe vom 04.06.2024, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Arbeitskampf

Ein hart erkämpftes Stück Land

Guatemala: Plantagenarbeiter bewirtschaften nach langem Rechtsstreit eigenen Grund und Boden. Manches ist besser geworden
Von Thorben Austen, San Marcos
Hat es bis heute nicht leicht: Das Frauenkomitee
»Schön wäre ein Ort für die Pausen«: Die Schüler vor dem neuen Gebäude

Jahrelang hatten die Arbeiter auf der Kaffeeplantage »La Delicias« im Süden Guatemalas für weniger als den gesetzlich festgelegten Mindestlohn geschuftet. Im Jahr 2000 wagten sie den Schritt und gingen gerichtlich gegen den Fincabesitzer vor. Mit Hilfe der Gewerkschaft Unión Sindical de Trabajadores de Guatemala und des Movimiento de Trabajadores Campesinos (MTC) klagten sie ausstehende Löhne ein.

Die gesetzlich festgelegte Tageslohnuntergrenze betrug 90,16 Quetzales (damals etwa neun Euro). Auf dem Anwesen im Landkreis El Tumbador, Departamento San Marcos, erhielten Männer 30 bis 40 Quetzales am Tag, Frauen sogar nur 20 bis 30 Quetzales. Außerdem wurden keine Sozialversicherungsbeiträge gezahlt, erklärt Rechtsanwalt Mario Juarez, der die Arbeiter juristisch vertrat, im Gespräch mit jW. Es habe überhaupt keine Sozialleistungen gegeben.

Es folgten zwei Jahrzehnte juristischer und politischer Auseinandersetzungen. Die Besitzer »spielten auf Zeit«, sagt Juan Jose Monterroso vom MTC gegenüber jW. Zunächst änderten sie Namen und Rechtsform in »Las Cruces, Agroindustrias, Kabus, Sociedad Anonima«. »Wir brauchten Jahre, um herauszufinden, wem genau die Finca gehörte«, so Monterroso.

2019 kam es schließlich zu einer Einigung in einem außergerichtlichen Mediationsverfahren. Es ist in Guatemala nicht ungewöhnlich, Rechtsstreitigkeiten so zu lösen. Die ausstehenden Löhne konnte oder wollte der Fincabesitzer nicht bezahlen, erklärt Monterroso, aber er sprach den 52 Klägern Land zu, Teile des Grund und Bodens seiner Finca. So entstand im Dezember 2019 die Gemeinde »Nueva Primavera« (Neuer Frühling), heute leben hier etwa 700 Menschen.

Je nach Arbeitsjahren erhielt jeder Kläger ein Stückchen Land. Meist waren es zwischen 0,3 und 0,4 Hektar, in einigen Fällen auch mehr. Arbeiter, die das Rentenalter erreicht hatten, bekamen um die 0,15 Hektar. Heute werden auf dem Land Grundnahrungsmittel wie Mais angebaut, zur Selbstversorgung, erklären Anwohner gegenüber jW. Dazu komme Kaffee für den Verkauf.

Dann geht es um Sexismus, und zwar auch in den eigenen Reihen. Benda Yudith Alguilar Giron vom Frauenkomitee Nueva Primavera erklärt, dass Frauen bei dem Rechtsstreit nicht berücksichtigt wurden. Obwohl viele für noch weniger Geld als die Männer geschuftet hatten, habe auch bei der Gewerkschaft niemand gewollt, dass Frauen sich am Kampf für die ausstehenden Löhne beteiligten, erklärt Alguilar. Durch Unterstützung des MTC hätten sich die Frauen in der Gemeinde zwar allmählich organisieren können, die Landtitel seien trotzdem ausnahmslos auf Männer ausgestellt worden.

Das Ende 2020 gegründete Frauenkomitee hat es bis heute nicht leicht. Der amtierende Vorsitzende des Gemeinderates war schon in der Gewerkschaft »immer dagegen, dass sich Frauen politisch betätigen«, sagt Alguilar. Ihrer Meinung nach ist der Mann ein »lupenreiner Sexist, der es ablehnt, dass Frauen öffentlich auftreten«. In guter Erinnerung hat sie dagegen einen Besuch des Nationalen Sekretärs der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO): »Gleich zu Beginn hat er die geringe Beteiligung von Frauen an der Versammlung kritisiert.«

Was die Mitglieder der Gemeinde eint, ist der Stolz auf die neue Schule: ein festes Steinhaus mit Wellblechdach und zwei Räumen. Sie wurde in diesem Jahr eingeweiht. Bis dato fand der Unterricht in einem einfachen Holzunterstand statt, erklärt Alguilar. Aktuell werden 32 Schüler von einem Lehrer unterrichtet.

Finanziert wurde der Neubau mit Mitteln des MTC, der niederländischen Hilfsorganisation Vastenactie und der Gemeinde. Dazu sei »Geld aus dem Norden« gekommen, heißt es etwas nebulös. Eine Schülerin der sechsten Klasse drückt es deutlicher aus: »Viele Menschen aus dem Dorf sind in den USA zum Arbeiten und haben uns mit Geld für die Schule geholfen.« Auf die Frage, ob noch etwas fehle, meint sie: »Schön wären ein kleiner Sportplatz und ein Ort für die Pause.«

Noch ist die Schule nicht vom Bildungsministerium anerkannt. Der Lehrer wird deshalb von der Gemeinde bezahlt. Es gibt kein Geld für kleine Zwischenmahlzeiten. Öffentliche Schulen haben seit einigen Jahren für die Verpflegung sechs Quetzales (0,70 Euro) pro Tag und Kind zur Verfügung. Grundlage ist ein Gesetz zur Schulernährung. »Wir hoffen, in diesem Jahr die Anerkennung vom Bildungsministerium zu bekommen«, sagt Alguilar.

Bedauerlich findet sie, dass es für die meisten Kinder nach der Grundschule in Nueva Primavera nicht weitergeht mit der Bildung. Aktuell würden nur sechs die Basico genannte Mittelstufe in einem weiter entfernten Dorf besuchen, darunter nur ein Mädchen. Auf die zweijährige Oberstufe (Diversificado) gehe aktuell niemand.

Schwierig sind auch die Arbeitsbedingungen geblieben, trotz der Bewirtschaftung eigenen Landes. Gerade jüngere Dorfbewohner müssen weiter auf umliegenden Fincas schuften, morgens um vier Uhr fahre täglich ein Bus auf die Finca Alamo, eine der größten des Landkreises. Der Arbeitstag ist lang, für 50 Quetzales Tageslohn. Eine Klage wie von den 52 Arbeitern sei heute unmöglich, erklären Dorfbewohner – kaum jemand auf den Fincas sei noch fest angestellt.

Der Kampf habe sich aber gelohnt, sagt Alguilar. »Wir sind heute freier, können politische Treffen besuchen, haben mehr Möglichkeiten«. Ein Augenblick des Zögerns war ihrer Antwort allerdings vorausgegangen.

Der »Weg in den Norden« ist ein großes Thema in Nueva Primavera. 140.000 Quetzales (16.622 Euro) verlangten die Coyotes genannten Schlepper mittlerweile, 40.000 seien sofort zu zahlen, der Rest könne in Raten nach Erreichen der USA abgestottert werden. Dafür sei die Route relativ sicher und einfach. Es gebe billigere Möglichkeiten, die seien aber gefährlicher.

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