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Aus: Ausgabe vom 05.06.2024, Seite 5 / Inland
Tarifverhandlungen

Krise bei »Sozialpartnern«

IG BCE und Kapitalverband BAVC verhandeln bislang ergebnislos. Knackpunkt: Besserstellung von Gewerkschaftsmitgliedern
Von Oliver Rast
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Ungewisse Aussicht: Chemiearbeiter warten auf mehr Patte im Portemonnaie (Kehl, 24.11.2023)

Auf Hochtouren, so läuft es. Weniger in der Produktion, um so mehr bei den Tarifverhandlungen. Seit Mitte Mai sozialpartnert die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) mit der Kapitalseite vom Bundesarbeitgeberverband Chemie (BAVC) auf Bundesebene. Zuvor waren bereits neun regionale Verhandlungsrunden über die Bühne gegangen. Allesamt ergebnislos. Erwartbar.

Nun steht die zweite Runde an, Dienstag und Mittwoch, stilsicher in einem schicken Wiesbadener Hotel. Bisher war alles nur Vorgeplänkel für die etwa 585.000 Beschäftigten in den rund 1.700 Betrieben der chemisch-pharmazeutischen Industrie. Aber die Zielgerade könnte in Sicht sein, hatten Chemiebosse am vergangenen Freitag verlautbart. Wirklich? Denn am Dienstag klang das so: BAVC-Verhandlungsführer Matthias Bürk zeigte sich gegenüber dpa unmittelbar vor Gesprächsbeginn skeptisch. Es gebe weiterhin keinen gemeinsamen Weg, um die Tarifbindung zu stärken. Er meinte: »Wir brauchen eine Lösung, die die Interessen beider Seiten berücksichtigt.«

Was fordert die IG BCE? Dreierlei: sieben Prozent mehr Entgelt, bessergestellte Gewerkschaftsmitglieder und nicht zuletzt einen »modernisierten« Bundesentgelttarifvertrag (BETV). Der Ausgleich der Reallohnverluste stünde dabei ganz oben auf der Agenda, hatte IG-BCE-Vorstand und Verhandlungsführer Oliver Heinrich wiederholt betont. Heinrichs »Sozialpartner« Bürk erwiderte ebenso oft. Es gebe »kein Verteilungsspielraum«, schließlich befinde sich die Branche in einer schweren Krise. Ferner zählten Chemie- und Pharmaarbeiter im Vergleich zu anderen Industriesektoren zu den Gutverdienern.

Aber auch die weiteren beiden Punkte bergen Konfliktstoff. Weil: »Einen Tarifabschluss ohne eine Vorteilsregelung für Mitglieder wird es mit uns nicht geben«, bekräftigte Heinrich. So soll die Tarifbindung über einen besseren Organisationsgrad gesteigert werden. Das ließe sich mit Vorteilen für Gewerkschaftsmitglieder erreichen. Die IG BCE fordert deshalb »tarifliche Regelungen für Wertschätzung und Besserstellung« ihrer Mitglieder. »Seit Jahren reden wir über spürbare Differenzierungsregelungen für unsere Leute, seit Jahren halten uns die Chemiearbeitgeber hin«, so Heinrich. Deswegen habe die Bundestarifkommission das Thema Mitgliedervorteile ins Forderungspaket aufgenommen.

Davon hält der BAVC nichts. Weshalb? Eine Besserstellung von Gewerkschaftern drohe Belegschaften zu spalten und eine Zweiklassengesellschaft in den Betrieben zu schaffen. Das würden viele Unternehmer nicht zulassen und die Mitgliedschaft in den Kapitalverbänden kündigen. »Das Ergebnis wäre eine Schwächung der Tarifbindung.« Unfug, erwidert die IG BCE. Derlei Absprachen seien bereits in Hunderten Flächen- und Haustarifverträgen mit Zehntausenden Beschäftigten getroffen. »Weder hat anschließend eine massenhafte Tarifflucht auf Arbeitgeberseite eingesetzt, noch wurde ein Keil in die Belegschaften getrieben«, weiß Heinrich. Solche Schreckens­szenarien der Chemie- und Pharmabosse seien »schlicht hanebüchen«. Und: Für gewerkschaftlich organisierte Beschäftigte bedeuteten diese Regeln mehr Freizeit, mehr Geld oder eine bessere soziale oder gesundheitliche Absicherung.

Und was soll sich aus Gewerkschaftssicht am BETV ändern? Einiges. »Wir haben einen Achtpunkteplan für mehr Fairness, bessere Aufstiegschancen und weniger Bürokratie entwickelt, den wir in die Gespräche einbringen werden«, hatte der IG-BCE-Verhandlungsführer angekündigt. Der BETV stamme aus dem Jahr 1987, kenne Uniabschlüsse wie Bachelor und Master nicht, habe viel zu komplizierte Modalitäten bei Höhergruppierungen und umfasse inzwischen zahlreiche Akademiker nicht mehr.

Aber auch hier blockt der BAVC. Verhandlungsführer Bürk am vergangenen Freitag: Ein umfangreicher Tarifvertrag wie der BETV ließe sich nicht ohne gründliche Prüfung und ohne seriöse Folgenabschätzung ändern. »Das Thema ist komplex und auch materiell von Gewicht. Hier geht Gründlichkeit vor Schnelligkeit.« Auffallend ist: Der Kapitalverband sperrt sich besonders gegen neue tarifliche Eingruppierungen.

Zwischenfazit: Es rumort ein wenig unter den geübten »Sozialpartnern«. Ein »krisengerechter Tarifabschluss« lässt auf sich warten.

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