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Aus: Ausgabe vom 05.06.2024, Seite 11 / Feuilleton
Kino

Die Bürde der mächtigen Männer

Vom Schmachvollen der Weltpolizei: Dror Morehs Dokumentarfilm »Kulissen der Macht«
Von Norman Philippen
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Was wir von der Welt wissen, wissen wir vom Fernsehen: Szenenbild aus »Kulissen der Macht«

Mit seiner siebten Arbeit als Regisseur und ausführender Produzent fokussiert der israelische Dokumentarfilmer Dror ­Moreh erneut auf Ränkespiele staatspolitischer Macht. Warum an die Losung »Nie wieder!« von der seit dem Kollaps der Sowjetunion schwer beschäftigten Weltmilitärpolizei NATO so (un-)zuverlässig selektiv erinnert wird, wenn sie etwa in Libyen interveniert, die Giftgaseinsätze in Syrien hingegen geschehen lässt, lautet Morehs Leitfrage. Seine ­filmische Antwort bezeichnet er als »nervenaufreibendes Drama um Leben und Tod, an dem Tausende von Menschen beteiligt sind und von dem oft die Zukunft ganzer Nationen abhängt«. Erzählt werde »auch die Geschichte von persönlichen Rivalitäten, wechselnden Loyalitäten und widersprüchlichen Weltanschauungen, die die Menschen hinter den Entscheidungen zeigen. (…) Habe ich die richtige Entscheidung getroffen? Hätte ich es anders machen können? Habe ich die Welt zu einem besseren Ort gemacht?«

So die vorgeblichen Fragen mancher der von Moreh interviewten hochrangigen US-Offiziellen, die im Weltgeschehen der vergangenen drei Jahrzehnte mitmischten. Nebst einer Reihe ehemaliger nationaler Sicherheitsberater, Stabschefs und einem ehemaligen nationalen Koordinator für Sicherheit und Terrorismusbekämpfung, sind das die ehemaligen US-Außenminister(-innen) Madeleine Albright, James Baker, George Shultz und Condoleezza Rice. Auch in Sachen Kriegsverbrechen so erfahrenen Figuren wie Colin Powell, Hillary Clinton und Henry Kissinger bietet »Kulissen der Macht« gute Gelegenheit, ihre Anekdoten zum Bosnien-Krieg, dem Völkermord in Ruanda, (ein bisschen auch) zum somalischen Bürgerkrieg, dem Kosovokrieg, die Irak-Invasion über den »Arabischen Frühling« bis hin zum syrischen Bürgerkrieg beizutragen. Möglich, dass Moreh während der Interviews gelegentlich kritisch unterbrach und nachhakte. Möglich auch, dass dies der Grund dafür ist, warum Kissinger nur wenige Sekunden spricht. Morehs einziger Einwand im Film wird von Powell barsch abbügelt. Der Final Cut der Investigation zumindest zeigt nicht, wie sich Macht ihre Kulissen baut, sondern welche moralischen Konflikte die Mächtigen vorgeblich durchleiden, falls die Bürde ihres Amtes gebietet, in kriegerischen Konflikten einzugreifen (oder nicht). Dass diejenigen, die Geschichte machen, diese auch schreiben, ist nicht neu. Und nicht viel Neues lässt sich denn auch erfahren, sieht und hört man den Protagonisten beim Erzählen ihrer Geschichten zu, in denen von, wie man so sagt, geopolitischen Machtinteressen nicht viel die Rede ist.

Ganz so neu ist auch die Erkenntnis nicht, dass die zum Ideal erhobene, vermeintlich sachliche »Neutralität« des Dokumentaristen letztlich ein Mythos ist, der in puncto Wirklichkeits- und Wahrheitsfindung den in »Kulissen der Macht« reproduzierten Erzählungen per se nicht nachsteht. Zwar stellt Moreh den unwidersprochenen Aussagen der Interviewten drastisches, schwer erträglich blutiges Bildmaterial gegenüber, doch bildet die nur sparsam kontextualisierte Visualisierung der Kriegsgreuel an keiner Stelle einen irgendwie dialektisch erhellenden Kontrapunkt zu den Kulissenbauern der Macht dar. Im Gegenteil funktionieren die gezeigten Grausamkeiten nur mehr als scheinbarer weiterer Beleg dafür, dass der Eingriff der Weltpolizei stets nur zu dem Zweck erfolgt, die Welt von all dem Bösen zu befreien, dem »wertewestliche«, i. e. US-amerikanische Legitimation abgeht.

Wer seine Recherchehausaufgaben erledigt hat, wird die tatsächlich filmreifen Monologe wenigstens partiell einigermaßen zu widerlegen wissen. Auch Moreh wird recherchiert haben und also wissen, dass es sich etwa beim von Clinton forcierten Bombardement des Kosovo 1999 um keine völkerrechtsfestigende Intervention handelte. So wirkt es merk- bzw. denkwürdig, dass er die für das blutige Resultat Verantwortlichen in keiner Weise mit ihrer Verantwortlichkeit konfrontiert. Die dafür erhebliche Konfrontation der Zuschauer mit Bildern toter syrischer Kinder und zerstückelter Tutsis wird so zu einer rein ästhetischen Zumutung.

War auch die Introspektion der Supermächtigen an sich keine schlechte Idee, kann Moreh die Umsetzung doch übelgenommen werden. Denn hört man den offiziellen Bedenkenträgern beim moralisierenden Bedauern zu, sprechen auch die gebotenen brutalen Bilder nicht gegen den Befund, dass das den Film vermeintlich leitende »Nie wieder!« einmal mehr als (unver)hohle(ne) Phrase missbraucht wird.

Fraglich ist, ob der Film ins Kino hätte kommen können, hätte Moreh seine Protagonisten mit gebotener Schärfe befragt. Sicher aber ist, dass in diesem sehr seltenen Fall die deutsche Übersetzung eines englischen Filmtitels einmal einen Mehrwert erzeugt. Denn näher als der Originaltitel »The Corridors of Power« (übernommen von C. P. Snows gleichnamigem Roman aus dem Jahr 1964) kommt »Die Kulissen der Macht« den einschlägigen Kulissenbauern aus den genannten Gründen allemal.

»Kulissen der Macht«, Regie: Dror Moreh, USA/Israel/BRD u. a. 2022, 135 Min., bereits angelaufen

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