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Aus: Ausgabe vom 06.06.2024, Seite 6 / Ausland
Ukraine-Krieg

Kiews Ressourcen am Ende

Ukraine hat fast zwei Drittel ihrer Stromerzeugung verloren. Mobilisierung neuer Soldaten verläuft schleppend
Von Reinhard Lauterbach
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Stromversorgung unterbrochen: Vom Umspannwerk bei Charkiw bleibt nach russischem Angriff nur Schrott (10.4.2024)

Die Ukraine hat seit Kriegsbeginn durch russischen Beschuss fast zwei Drittel ihrer Stromproduktion verloren. Unter Berufung auf ukrainische Behörden schrieb die Financial Times am Mittwoch, die Kapazität sei von 55 Gigawatt (GW) vor Kriegsbeginn auf inzwischen unter 20 GW gesunken. Allein seit März habe Russland Kraftwerkskapazitäten von 9,2 Gigawatt zerstört, darunter die größten Kohlekraftwerke in Smijow bei Charkiw und Tripolje bei Kiew. Als Folge drohen immer häufigere Stromabschaltungen, wobei diese in ihrer Länge nicht mehr absehbar sind und vor allem in den Abendstunden vorkommen.

Als Folge des Ausfalls vieler Kohle- und Wasserkraftwerke steigt der Anteil der ukrainischen Atomkraftwerke an der Stromerzeugung. Während er vor dem Krieg bei etwa 50 Prozent lag, beträgt er jetzt rechnerisch zwei Drittel, kann aber kurzfristig nicht ausgeschöpft werden, weil die Reaktorblöcke traditionell im Sommer gewartet werden. Als weitere Folge der Zerstörungen droht eine Dürre in den westukrainischen Regionen Chmelnizkij und Winnizja, weil ein einstweilen unbeschädigtes Wasserkraftwerk am Unterlauf des Flusses Dnjestr mehr Wasser durch die Turbinen laufen lässt als vorgesehen, um den erhöhten Bedarf zu decken. Es hat in den betreffenden Regionen seit zwei Monaten nicht mehr geregnet.

An der Front haben ukrainische Truppen offenbar den russischen Vormarsch in der Stadt Woltschansk im Bezirk Charkiw gestoppt. Angeblich sind ukrainische Reserven auch zu einem Gegenangriff angetreten. An anderen Abschnitten der Front sind die russischen Truppen dagegen weiter im Vormarsch oder halten den Druck aufrecht. Das gilt vor allem im Umland der Stadt Tschassiw Jar westlich von Awdijiwka. Ukrainische Soldaten von der Front vor Kupjansk am Ostrand des Bezirks Charkiw beklagten sich in Postings über inkompetente Offiziere, von denen sie in verlustreiche Angriffe geschickt würden. Ukrainische Offiziere klagen darüber, dass sie als Ersatz frisch eingezogene Rekruten bekämen, die nicht einmal schießen gelernt hätten. Sie müssten ihre Grundausbildung an der Front nachholen.

Aus dem ukrainischen Hinterland gibt es inzwischen Hunderte von Videos, die Versuche von Rekrutierungskommandos zeigen, mit Gewalt zufällig angetroffene Männer zum Militär einzuziehen. Die Videos zeigen aber auch, dass Passanten, darunter oft Frauen, die Soldaten daran zu hindern versuchen, die Männer mitzunehmen. Stillschweigende Unterstützung erfahren sie dabei offenkundig von sympathisierenden Unbeteiligten, die die Vorfälle filmen und ins Netz stellen. In nicht wenigen Fällen gelingt es den Kampfunwilligen in solchen Situationen – zumindest für den Moment – zu entkommen. Der ukrainische Generalstab erklärte diese Videos samt und sonders zu russischen Fälschungen mit dem Ziel, die Kampfbereitschaft der Ukraine zu untergraben.

Welchen Einfluss ein kürzlich bekanntgewordener Vorfall im ukrainischen Gesundheitswesen darauf hat, wird sich zeigen. Vor einigen Tagen war durch einen Bericht des Portals strana.news publik geworden, dass unter der Schirmherrschaft eines inzwischen entlassenen stellvertretenden Gesundheitsministers offenbar hilflosen Patienten – darunter verletzten Soldaten – ohne ihr Wissen Organe entnommen und in den internationalen Organhandel eingespeist worden sind. Beteiligt seien neben dem Politiker der Chefarzt des Kiewer Zentralkrankenhauses und weitere zehn Ärzte und Pfleger gewesen. Strana beruft sich für seine Darstellung auf Quellen in der ukrainischen Justiz und Polizei.

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (6. Juni 2024 um 10:06 Uhr)
    Was die Front betrifft, basiert die russische Militärtaktik darauf, die Frontlinie zu erweitern, d.h. zu verlängern. Ein Beispiel hierfür ist die Eröffnung eines neuen Frontabschnitts bei Charkiw. Dadurch kämpft das ukrainische Militär aufgrund seines Personalmangels sowohl mit der schnellen Logistik als auch mit der Sicherung der gesamten Frontlinie. Die russische Armee hat einen langsamen, aber stetigen Vormarsch auf dem gesamten Frontabschnitt erreicht. Ihre eindeutige Strategie ist es, das ukrainische Militär ohne großes Risiko zu zermürben. Wenn es so weitergeht, muss das ukrainische Militär sämtliche seiner fronttauglichen und nicht fronttauglichen Soldaten an die Front bringen, um zu versuchen, die Russen aufzuhalten. Doch die russische militärische Überlegenheit, so traurig es auch sein mag, zermürbt sie dort, bis zum letzten Ukrainer. Zu den Problemen im ukrainischen Hinterland nur so viel: Über den mehr als zweijährigen Kriegszustand treten alle Schwachstellen, von denen es genügend gibt, immer mehr zutage. Deshalb ist es unverständlich, dass Bundeskanzler Scholz unlängst verkündet hat, dass die EU mit der Ukraine Aufnahmeverhandlungen beginnen soll. Hat die EU selbst nicht genug Probleme, um sich noch mehr aufzuladen?

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