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Aus: Ausgabe vom 06.06.2024, Seite 10 / Feuilleton
Jazz in der jW-Maigalerie

Nachts auf dem Spielplatz

Das Duo Matsch & Schnee in der Maigalerie der jungen Welt in Berlin
Von Gisela Sonnenburg
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Dann kommt die Melodie: Matsch & Schnee (jW-Maigalerie, 4.6.2024)

Man stelle sich einen Spielplatz bei Mondenschein vor. Verlockt er nicht zum Verweilen? Das Damen-Duo Matsch & Schnee verströmt diese Atmosphäre. Wie am Dienstag abend, nachdem der Kurator der Reihe »jW geht Jazz«, Hannes Zerbe – eine Koryphäe der Jazzmusik –, das Konzert in der Maigalerie der jungen Welt in Berlin eröffnete. Silke Eberhard am Altsaxophon und Maike Hilbig am Kontrabass nahmen uns mit zum Spielen in der Nacht.

Wir befinden uns wohl in Paris. Viel Charme und Esprit verströmt das Zusammenspiel von »Matsch und Schnee«. Der Bandname rührt daher, dass Eberhard und Hilbig sonst nur in der kalten Jahreszeit gemeinsam auftreten. Ausnahmen von dieser Regel sind in Zukunft aber wahrscheinlich. Das Klima spielt ja eh verrückt. Auf geht’s zur Rutsche, zum Klettergerüst, zurück in die Kindheit mit erwachsenem Sinn.

Mancher Spaß ist tierisch. »Zwei Ponys« heißt ein Stück, auch »Zwei Esel« genannt. Stur zupft Maike Hilbig ein Motiv, wie einen Trott, in dem man sich mühsam fortbewegt. Dann kommt die Melodie. Hinter der Kletterwand schaut ein Tier hervor: vier Hufe, zwei Ohren, zwei neugierige Augen.

Eine aus Nussschalen gefertigte Wasserfallrassel, eine Korbflasche mit Hülsenfrüchten – ein Caxixi – und eine exotische Rohrflöte sind mit dabei. Sie haben, von Silke Eberhard bedient, Premiere: Auf der CD »Matsch und Schnee«, erschienen bei Trouble in the East Records, hört man die Stücke noch ohne die kleinen Percussions.

Oben auf dem Klettergerüst ist der Horizont unendlich weit. Saxophon und Kontrabass charmieren, ja flirten miteinander, um höchste Harmonie zu erzeugen. Das ist selten im Jazz. »Ohne« heißt das Stück, wie »Ohne Titel«. Beim »Reinkommen« geht es dann darum, in die Kunst des Komponierens zu kommen. Es ist nämlich ein Frühwerk von Maike Hilbig. Und ein Blues.

Hilbig zupft sich am Bass schräg über Stock und Stein, vorbei an der Langeweile, der Routine und am Krampf. Frei müssen die Töne schwingen. Das Altsax stimmt zu und darf im melodiösen Alleingang weitergehen. Ein kurzer Halt lässt beide Damen verschnaufen – und nochmals aufdrehen. Hilbigs Tipp: »Zum Reinkommen erstmal einen Blues, da kann nicht viel schiefgehen.« Das Stück »Rauskommen« hat sie übrigens rausgeworfen, zum Glück: Wer weiß, ob sie sonst weitergemacht hätte.

Dann noch ein Blues. »I was wrong«, »Ich habe mich geirrt«, nennt Eberhard ihn. Ob die Einsicht gemeint ist oder der Vorwand für ein gutes Glas Wein? Man schwelgt in trauriger Hingabe, setzt sich auf den Rand des Sandkastens und hebt das Glas. Das Lieblingsgetränk der Bassistin ist allerdings »Crémant«. So kribbelig-prickelnd schäumt es auch musikalisch.

Das Stück »Miniatür« hieß mal »Mininatur«, noch früher »Miniatur« – und hier will die Saxophonistin die Bassistin irgendwie verschleppen. In eine Bar? Oder auf die Wippe? Sekunden werden zur Ewigkeit, bis die Wippe stoppt. Der Mond spielt Verstecken. Bei schwarzer Nacht fühlt sich der Bass im Solo indisponiert. Erst mit dem Sax tastet er sich aus dem Reich der Schatten. Und ist schon fast daheim.

»Ich höre Stimmen«, so das letzte Stück. Gemeint sind Vorhaltungen. Maike Hilbig: »Wenn man alleine wohnt, denkt man daran, was die Mutter jetzt sagen würde.« Etwa, dass die Kühlschranktür zu lange offen steht. Der Dozent rügt, dass eine Saite zu hart angefasst wird. Diese Menschen haben immerzu Recht, vom Altsax vorzüglich keckernd dargestellt. Mit Applaus verdient sich das Publikum die Zugabe. Dann flaniert man langsam heim. Schon Simone de Beauvoir hat es so gemacht.

Weiter geht es mit »jW geht Jazz« am 2. Juli mit »Brecht und Jazz« – Besetzung:
Heide Bartholomäus (Stimme), Jürgen Kupke (Klarinette), Hannes Zerbe (Piano). Maigalerie, Torstraße 6, 10119 Berlin, Beginn: 19.30 Uhr, Eintritt: 10 Euro (ermäßigt 5 Euro)

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