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Aus: Ausgabe vom 06.06.2024, Seite 11 / Feuilleton
Kino

Die Macht der Verführung. Klaus Sterns Dokfilm »Watching You« über Palantir-CEO Alexander Karp

Von Ronald Kohl
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Arsch mit Zigarre: Der junge Alexander Karp

Genau zwei Jahrzehnte lang hat die Software- und Überwachungsfirma Palantir, gegründet 2003 und ansässig im Silicon Valley, keinen Cent Profit erwirtschaftet. Regisseur Klaus Stern heftete sich dem Mitgründer und CEO Alexander Karp an die Fersen. Für »Watching You« holte er mit Thomas Giefer einen altgedienten Kameramann an Bord, der schon einmal, vor knapp 30 Jahren, mit Karp einen Film gedreht hatte. Damals promovierte der in den USA geborene Karp in Sozialwissenschaften in Frankfurt am Main. Eigentlich sollte dieser erste Film einen schwulen deutschen Juden porträtieren, der nach New York auswandert, doch der »echte« Protagonist sträubte sich während der Vorbereitung und Karp sprang ein, obwohl er »eigentlich mehr auf Frauen steht«, wie er einem seiner Geschäftsfreunde sofort versichert, als Stern mit seinem Team am Rande einer Veranstaltung auf ihn zugeht. Es amüsiert Karp außerordentlich, dass jetzt auf einmal er der Protagonist ist, der den, so Karp, »verkorksten« Film über sich nicht will. Und so rennt ihm Stern quer durch die Welt des Big Business hinterher. Mal filmt er ihn lachend und scherzend neben Axel Springers Witwe Friede, mal bei Karps Wahl in den Aufsichtsrat der BASF und schließlich in Davos, wo Palantir einen eigenen Pavillon unterhält.

Einen sehr aufschlussreichen Einblick in das Innenleben von Palantir geben die Gespräche mit Alfredas Chmieliauskas, der dort von 2013 bis 2018 in leitender Funktion arbeitete und schließlich wegen seiner Kontakte zu Cambridge Analytica, einem ähnlichen britischen Unternehmen, gefeuert wurde. Cambridge Analytica war damals wegen Datenklau in die Schlagzeilen geraten. Chmieliauskas, der sich nach wie vor als Bauernopfer sieht, ist damals eines klar geworden: »Wenn du einmal bei Palantir auf dem Bildschirm landest, kannst du nur schuldig sein.« Chmieliauskas ist es auch, der im Film die Frage stellt, wie es möglich ist, dass junge und wirklich sehr kluge Menschen bei einem Unternehmen arbeiten, das von Geheimdiensten und der Rüstungsindustrie finanziert wird, und sie trotzdem fest davon überzeugt sind, auf der Seite des Guten zu stehen. Die Antwort ist ganz einfach: Chiemliauskas hat die Bewerbungsgespräche mit ihnen selbst geführt und nur die genommen, die zwar sehr intelligent waren, aber auch willens, sich aufzuopfern. Und solche Typen sollten nun unsere Polizei unterstützen, was in Hessen auch geschah, mit dem Erfolg, dass der geplante Anschlag eines 18jährigen auf den US-Präsidenten in letzter Sekunde verhindert werden konnte.

Wenn der Film auf der politischen Ebene auch den Eindruck erwecken will, dass sich die bundesrepublikanische Demokratie mit Hilfe von Karlsruhe und der Unterstützung einiger engagierter Kräfte vor der »Verführung« Palantir, so der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP), schützen könne, was abzuwarten bleibt, so vermittelt er doch auch ein plausibles und sehr komplexes Bild Alexander Karps. Viel trägt dazu seine Doktormutter Karola Brede bei, die Karp, dessen Vater jüdisch-europäische Wurzeln hatte, eine »Fundamentalangst« attestiert. »Es ist«, so Brede, »eine Identität, die aus der ständigen Möglichkeit des Nichtmehrdazugehörens sich aufbaut«. Chmieliauskaus sieht für dieses Damoklesschwert auch aktuelle Gründe. Denn Karp, der neben seinem Doktor der Sozialwissenschaften auch in Stanford, wo er den späteren Paypal-Boss Peter Thiel kennenlernte, einen Abschluss in Jura gemacht hat, ist kein Informatiker. Er schafft es zwar irgendwie, die angeheuerten Cracks bei Palantir auf hohem Level bei Laune zu halten, hat aber auch seine Befürchtungen, »dass sie ihn eines Tages fressen werden«.

Neben der chronischen Unrentabilität des Unternehmens wird im Film auch auf Karps Einkommen verwiesen. Das Witzige dabei ist, dass dieser in einem Fernsehinterview im Jahr 2009 gesagt hat, mit seinem Frankfurter Doktortitel allein wäre er die am »höchsten gebildete und am schlechtesten bezahlte Person auf diesem Planeten geworden«. Jetzt, 15 Jahre später, ist er, laut Film, mit 1,1 Milliarden US-Dollar der höchstbezahlte CEO der Welt, was gewiss nicht nur an Thiel, einem weiteren der Gründer von Palantir liegt. Es ist eine Position, die Karp durch Beharrlichkeit erlangt hat. Wer auch immer Palantirs Dienste in Anspruch nehmen will, alle großen Bosse wollen nur mit ihm persönlich reden: Er ist die Verführung. Es ist der unglaubliche Unterhaltungswert des bekennenden Karl-May-Fans, sein pseudointellektuelles Geblödel und seine charmant-unbekümmerte Art, auf Fragen der Moral zu reagieren: »Wenn ich heutzutage jung wäre, würde ich wahrscheinlich auch gegen mich demonstrieren.«

Am Ende des Films werden drei Sätze eingeblendet, aus denen wir erstens erfahren, dass Palantir »von 2003 bis 2022 in keinem Jahr Gewinne erzielt« hat. Dann wird Nancy Faesers Stopp des Einsatzes der Palantir-Software bei der deutschen Polizei erwähnt. Und schließlich heißt es: »Die Ukraine setzt im Krieg gegen Russland weiterhin auf Palantir.«

Die Internetausgabe der FAZ wartete (halb erleichtert) am 6. Februar dieses Jahres mit der Überschrift auf: »Palantir erwirtschaftet erstmals Gewinn.« Der Untertitel des Artikels lautete: »Profiteur des KI-Booms«. – Besser hätte es Alexander Karp auch nicht erklären können.

»Watching You«, Regie: Klaus Stern, BRD, 109 Min., Kinostart: heute

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