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Aus: Ausgabe vom 07.06.2024, Seite 11 / Feuilleton
Postrock

Es gilt das gesprochene Wort

Der Lack ist trocken: »To All Trains«, Shellacs letztes Album
Von Ken Merten
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»Before we start, I must explain / The title once was ›Sauerkraut‹« – Shellac

Helle, fast klingelnde Blues-Rock-Licks haken sich in die Großhirnrinde, sanft, wie die Krallen eines Eichhörnchens an dessen Lieblingsbaum. Wenn man so will, ist »WSOD« damit das kleine Geschwisterchen des zweiten Tracks vom 2000er Album »1000 Hurts«, dem »Squirrel Song« (»This is a sad fucking song / We’ll be lucky if you don’t bust out crying«). Aber der Humor ist hier ein anderer: weniger dada, mehr der von Pennälern. Sagt schon der Titel des ersten Liedes von Shellacs siebtem Studioalbum »To All Trains«.

»WSOD«, meint das »World Series of Darts«? Nein, über das Pfeilewerfen des am 7. Mai, kurz vor Release, verstorbenen Gitarristen und Sängers Steve Albini (siehe jW vom 10. Mai) ist nichts bekannt, er machte lieber große Umsätze als professioneller Pokerspieler. »White Screen of Death«? Als Störung des Studiobordcomputers nur dann wahrscheinlicher, wenn man an Prophezeiungen glaubt, die sich auf krude weise selbsterfüllen: Albini produzierte Alben erster Güte, darunter das Debüt der Pixies (»Surfer Rosa«, 1988), Nirvanas letztes, »In Utero« (1993) und Trash Talks Self Titled Album (2008). Wenn er sich dabei als »Recording Engineer« verstand und nicht als Produzent, dann war das kein Understatement, höchstens eine mit Bescheidenheit angereicherte, gelebte These, dass Alben erst nach Fertigstellung gepresst werden (na ja, wurden), im Studio aber in einer Werkstattsituation entstehen, Arbeitsort der Handwerkergilde, nicht der Kulturindustrie, die erst hinterher mit dem Ergebnis den Markt überschwemmt. Wer nur im Kopf hat, möglichst wohlfeile Waren zusammenzuspielen und aufzunehmen, konnte von Albini keine Hilfe erwarten.

So simpel wie präzise

Blablabla, zurück zu Shellacs »To All Trains«, sicher auch im Interesse Albinis, der sich vielleicht ärgern würde, er wäre mit nur 61 Jahren an einem Herzinfarkt gestorben und alle Popmusikwelt spräche danach über ihn als Toningenieur, nicht aber als Musiker. »WSOD« also ist die Abbreviatur von »World Series of Dick­sucking« und hat genau eine Strophe – damit also genau keine. Auch der nicht wiederholte Refrain ist keiner, aber die Pointe eines Witzes ist ja grundsätzlich solitär: »Urine, blood, and hair / Those three always come as a set / Get that man a medal / Get that man a medal.«

Albini hält sich auf dem gesamten Langspieler weit weniger mit Singversuchen auf als beim Debütalbum »At Action Park« (1994), noch weniger als auf dem Vorgänger von »To All Trains«, dem 2014er »Dude Incredible«. Statt dessen gilt das Spoken Word, was Shellac so ziemlich genau in die Mitte zwischen Hüsker Dü und Chat Pile placiert. Letztere schaffen ja mit Songs wie der bildlos-cineastischen Rachephantasie »I Don’t Care If I Burn« vom 2022er Spitzenalbum »God’s Country« Musik ohne Instru­mente (statt dessen mit Kaminfeuergeknister, rhythmischem Stampfen auf Holzboden als Cajón-Ersatz und wahrscheinlich einem Messer, das mit Jagdvorfreude geschliffen wird). So weit gingen Shellac nie, alles scheinbar nebenbei Gespielte und als trockene Grunge-Satire Daherkommende, der nur ganz leicht gehobene Punk, ist so simpel wie präzise instrumentiert. Albinis Sprechgesang ist entsprechend auch einer von der selbstbewussten Sorte, hat Hörbuchcharakter, als spräche er einen Roman von Joseph Heller ein.

Ein Lehrstück

Eine Ausnahme: das exaltiert zaghaft geträllerte »How I Wrote How I Wrote Elastic Man (Cock & Bull)«. Wo wir dann eben doch wieder bei Albinis Berufung als Handwerker und zentraler Zuarbeiter wären. Der Song ist ein Arbeitstitel in progress: »Before we start, I must explain / The title once was ›Sauerkraut‹.« Drummer Todd Trainer füllt die Übergänge aufgesetzt ungelenk, ideenlose Ideen, als wäre beim Jammen des neuen Werks die Luft raus, ehe sie überhaupt drin war. Der Bass von Robert Weston macht, was ein Bass in solchen Situationen machen muss: weiter, damit die an den Kreativinstrumenten bloß nicht aufhören, sich beim Kreativsein Mühe zu geben. »A working name takes it’s form / Based on style for a favorite band / It’s kiss murder and / Of course it ­doesn’t work«, trällert Albini schüchtern, eins vor »La-La-La«, weil für den zart mit Blues und Country operierenden Rocksong noch gar nichts feststeht. Es will nicht gelingen. Und doch: Eine Session kurz vorm Abbruch, vielleicht schon über den Rand des Scheiterns gekippt, derweil aber schon voll und ganz dort, wo man formal hin will. So ist dann auch der Kehrreim das zusammengeschnurrte Wesen des Balladenrefrains an sich: »Begin again.« Und dann hebt es zweimal wieder an, und einmal eben nicht mehr. »It’s all too complex / to be captured here«, ist dann auch die dritte, knappe Strophe, die Einheit des Widerspruchs von Form und Inhalt. Das Einfache, das schwer zu machen ist. Ein Lehrstück, das uns Steve Albini und Shellac hinterlassen haben.

Shellac: »To All Trains« (Touch & Go)

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