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Aus: Ausgabe vom 07.06.2024, Seite 15 / Feminismus
Internationaler Hurentag

Entkriminalisierung gefordert

Internationaler Hurentag: Sexarbeit nach wie vor nicht anerkannt. Beschäftigte sind Diskriminierung und Repression ausgesetzt
Von Ina Sembdner
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Protest gegen »Prostituiertenschutzgesetz«: Sexarbeiterinnen und -arbeiter fordern in Berlin gleiche Rechte ein (2.6.2023)

Diskriminierung, Ausgrenzung und Kriminalisierung: Dagegen protestieren Sexarbeitende seit 1975 an jedem 2. Juni. Damals besetzten 150 von ihnen acht Tage lang die Saint-Nizier-Kirche im französischen Lyon, die als Schutzraum gegen ausufernde staatliche Gewalt fungierte, und forderten ein Ende der Schikane. »Es war eine polizeiliche Jagd auf Prostituierte«, heißt es auf dem Blog »Prostitutionspolitik« unter Benutzung der damaligen Eigenbezeichnung zum gesellschaftlichen Klima jener Tage in Frankreich. Und das verschärft sich vor den Olympischen Spielen erneut – so berichtete France24 am 25. Mai von zunehmend repressiveren Polizeimethoden, die sich auch wieder gegen Sexarbeitende richten würden.

Denn 2016 führte Paris das sogenannte nordische Modell ein und fokussiert seither auf diejenigen, die Sexarbeit in Anspruch nehmen. Was einerseits Kunden abgeschreckt, aber auch dazu geführt habe, dass Sexarbeitende seltener von der Polizei kontrolliert würden, wie eine von ihnen gegenüber France24 berichtete. Schon im März hatte sich ein Kollektiv aus 17 Organisationen in einer gemeinsamen Erklärung gegen die mit dem Sportereignis verbundene zunehmende Repression positioniert und vor »Konsequenzen für die Gesundheit und die Sicherheit von Sexarbeitenden« gewarnt.

Hierzulande erinnerte der Verein Doña Carmen, der sich für soziale und politische Rechte von Sexarbeitenden einsetzt, anlässlich des Internationalen Hurentags an die schleichende Illegalisierung von Sexarbeit – etwa durch die Schließung von Arbeitsstätten oder die Einschränkung der Orte, an denen Sexarbeit nachgegangen werden kann: So seien faktisch 98 Prozent aller Gemeinden Deutschlands »Sperrgebiet«, wie es in einem am 2. Juni vorgelegten Forderungskatalog heißt. Gerichtet ist er an die Bundesregierung, die bis zum Sommer 2025 eine Evaluation des seit 2017 geltenden Prostituiertenschutzgesetzes vorlegen muss. Zentral wird darin »Entkriminalisierung statt Entrechtung« gefordert – konkret: die »Aufhebung des gesamten prostitutionsspezifischen Sonderstrafrechts«. Zumal es bei der diesbezüglich registrierten Kriminalität in den vergangenen Jahrzehnten einen deutlichen Rückgang gegeben habe.

Angeprangert werden auch die immer lauter werdenden Stimmen, die ein Sexkaufverbot fordern. Dies diene als »willkommene Drohkulisse, um Sexarbeiter*innen dazu zu bewegen, sich ›freiwillig‹ den Zumutungen des Prostituiertenschutzgesetzes zu unterwerfen«. Daher wird angemahnt, dass bei dessen Evaluation die Erfahrungen und Lebensrealitäten der in der Branche Arbeitenden einbezogen werden müssten. Das Ziel bleibe eine komplette Legalisierung der Sexarbeit. Dagegen gibt es vor allem von konservativer Seite Protest. So hat die CDU in ihrem Anfang Mai verabschiedeten Grundsatzprogramm nicht nur abermals Sexarbeit mit Menschenhandel in einen Topf geworfen. Sie erklärt darin auch, dass dies »mit der Würde von Menschen nicht vereinbar« sei. »Deshalb unterstützen wir ein Sexkaufverbot«, heißt es weiter. Das Verbot einer Branche also, in der 90.000 Menschen beschäftigt sind – so viele wie beispielsweise in der Stahlindustrie.

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  • Leserbrief von Peter Groß aus Bodenseekreis (10. Juni 2024 um 11:31 Uhr)
    Der Verein Doña Carmen liefert periodisch PR zum Thema Sexarbeit. Eine Randbemerkung wäre es wert, zur »Madame«, die 50.000 Euro verlangt, von auf dem europäischen Straßenstrich »arbeitenden« Opfern, die ehemals eine Arbeit als Bedienung im Hotel- und Gastgewerbe suchten. Wenn sie nicht zahlt, werde er ihre kleine Cousine in Afrika ermordet. Mutter oder Vater. Dazu schweigt Doña Carmen zum internationalen Hurentag. Es fällt wohl schwer nachteiliges zu schreiben über Menschenhandel, Sklaverei, sexuelle Ausbeutung. Eine Frau sagte: »Ein Jahr in der Prostitution, anschließend sieben Jahre Therapie. Das ist unbedingt notwendig, um wieder einigermaßen die Füße auf den Boden zu kriegen.« »Die psychischen Folgen des Voodoo-Kults werden unterschätzt, da hilft keine Sozialversicherung oder Berufsgenossenschaft. Im Grunde fürchten die Frauen, dass sie verwirrt werden, dass sie krank werden, dass sie vielleicht sogar sterben könnten. Prostitution wirkt weit in die Gesellschaft, sei es in Form häuslicher Gewalt, weil die Anwendung mancher Praktiken für Frauen unerträglich sind. Die Zahl von Banden der organisierten Gewalt hat enorm zugenommen, ihrem Treiben bis schwerster körperlicher Misshandlung oder Mord sind Tausende Frauen ausgeliefert und zunehmend endet eine ungewollte Schwangerschaft mit dem Verkauf des neugeborenen Kindes. Im schlimmsten Fall als Sexobjekte für Internetbilder oder Filme. Man spricht bei der Prostitution im »Hinterzimmer« oder dem Straßenstrich von 15 bis 20 »Verrichtungen« täglich, unter nicht nur hygienisch schlechtesten Bedingungen. Wo bitte ist die Hilfe oder der Schutz einer Solidarfamilie für freiberufliche oder gewerblich Prostituierte? Beim Metzger oder Imbiss kommt gelegentlich das Gewerbeamt zur Hygieneprüfung, das entfällt in diesem besonderen Gewerbe, ebenso wie Jugendschutz oder die Prüfung der Freiwilligkeit. Die Diakonie Deutschland bietet mit »Wissen kompakt« ebenso gute Informationen wie der Europol Jahresbericht (3.3 Menschenhandel).
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Manuel S. aus Berlin (7. Juni 2024 um 17:48 Uhr)
    Während die erste Hälfte des Artikels noch verwirrend inkohärent daherkommt, besteht die zweite Hälfte aus der völlig kommentar- und kritiklosen Wiedergabe einer nicht näher bezeichneten Stellungnahme des Vereins »Doña Carmen«, die sich wie ein zynischer Werbetext der Prostitutionsbranche liest. Dieser mafiotisch-kapitalistische Geschäftszweig fährt allein in Deutschland jährlich einen zweistelligen Milliardengewinn ein, indem er nichts anderes organisiert als den sexuellen Missbrauch von Frauen, die sich in einer finanziellen oder noch schlimmeren Notlage befinden. Und wer dagegen vorgehen will, wird in dem Text auch noch in die konservative Ecke der CDU-Kulturpolitik gerückt. Unter dem Titel »Sex sells« hat Sabine Kebir in der Ausgabe von 01.06.2022 einen ausgezeichneten Artikel veröffentlicht, in dem sie aufzeigt, dass die hier auch von Ina Sembner lancierte Argumentationslinie typisch ist für die mediale Arbeit der Prostitutionslobby. Besonders ärgerlich, dass dieser Artikel frei zugänglich ist, während der von Sabine Kebir nur Abonnenten zur Verfügung steht. Für Prostitution, die auf sexueller Gewalt, Menschenverachtung und brutalster Ausbeutung basiert und Katalysator einer im Patriarchat existierenden Rape-Culture ist, sollte keine Propaganda gemacht werden, schon gar nicht in dieser Zeitung.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Petra L. aus Trebbin (7. Juni 2024 um 09:44 Uhr)
    Prostitution ist keine »Arbeit« – sondern Gewalt. »Sexarbeit« ist schlimmster Neusprech. Man muss nur die Engels'sche Formulierung »Arbeit ist das, was den Menschen erst eigentlich zum Menschen macht« daran ausprobieren, um das festzustellen.

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