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Aus: Ausgabe vom 10.06.2024, Seite 2 / Ausland
Selbstorganisation

»Arme werden aus Stadtzentren vertrieben«

In der indonesischen Stadt Surakarta hilft ein Verein dabei, die Verwaltung auf Probleme hinzuweisen. Ein Gespräch mit Indy Kana und Bima Putra
Interview: Thomas Berger
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Ein obdachloses Kind in Jakarta (13.11.2018)

Ihre Organisation hat ihren Hauptsitz in Solo, wie Surakarta im Alltag genannt wird. Das ist eine indonesische Stadt mit etwa 600.000 Menschen. Auf welche Weise bringt sich der Verein dort in die Stadtentwicklung ein?

Bima Putra: Die Gründergeneration hat um 2009/10 angefangen. In einem ersten Schritt ging es zunächst um eine grobe Ideensammlung in den 51 Stadtvierteln.

Indy Kana: Eine Schwierigkeit ist ja, dass die Stadtverwaltung nicht immer über genügend Informationen verfügt, um Probleme zielgerichtet anzugehen. Deshalb war es uns damals wichtig, zunächst Material zusammenzutragen, wo jeweils der Schuh drückt. Nachdem das sortiert ist, lassen sich konkrete Projekte ableiten.

Was waren diese nächsten Schritte?

B. P.: 2011 haben wir uns in der Auswertung mit dem damaligen Bürgermeister getroffen. Das ist der heutige Präsident Joko Widodo. Im Ergebnis wurden 51 sogenannte Nachbarschaftsgebiete eingerichtet und mit etwas Geld ausgestattet. Wir als NGO haben eine Webseite entwickelt, auf der wichtige Informationen abrufbar sind – zum Beispiel, wie es um die Armutssituation in den einzelnen Vierteln bestellt ist. Die Daten dazu werden von 2.100 lokalen Ansprechpersonen gesammelt. Sie schicken uns per Kurznachricht die Infos: Etwa, welche Häuser in schlechtem Zustand sind oder wie viele Kinder vorzeitig die Schule abbrechen. Auf diese Weise ist es in der Summe möglich, einen sozialen Atlas für ganz Solo zu erstellen – für uns, die Stadtverwaltung, aber auch für jeden Einwohner. Die erste Datensammlung wurde 2012 vor allem zu Trinkwasserzugang, Sanitär und Armut durchgeführt. 2016 gab es ein weiteres Update.

I. K.: Für uns war das die Stufe, um dann wirklich in die Selbstermächtigung der Einwohner zu starten. Dabei geht es um drei Kernpunkte: Städtische Resilienz, verbesserte Verwaltung und Inklusion. Wir haben sogar Projekte, bei denen schon Kinder aktiv einbezogen werden. Das ist eine echte Neuheit.

Welches Projekt kam dabei heraus?

B. P.: Es ging darum, eine Straße aus Perspektive der Kinder anzulegen. Bisher hatte ja immer der Fahrzeugverkehr Dominanz. Wir hingegen haben etwa 50 Prozent der Fläche für Fußgänger, also auch stark für Kinder abgegrenzt. Das ist in einer völlig auf den motorisierten Verkehr fokussierten Gesellschaft ein ganz neuer Ansatz. Schließlich sind Stadt und Straßenraum für alle da. Auch Bushaltestellen wurden an benutzerfreundlichere Standorte verlegt.

Wie waren die Reaktionen auf das Konzept?

B. P.: Sehr positiv. Die Kinder hatten viel Spaß daran, sich erstmals aktiv einzubringen. Und bei den Partnern in der Stadt hat das auch einiges ausgelöst – aha, das sind wichtige Aufgaben, da kann man tatsächlich etwas machen. Geld ist zwar nicht gleich für alles da. Aber wenn es konkrete Ideen gibt, ist es möglich, zielgerichtet die Finanzierung zu sichern. Spezielle Projekte werden dann in die größeren Visionen der Stadtentwicklung eingebunden. In Solo sind wir nun seit 15 Jahren tätig. Wie die Stadtverwaltung mitzieht, hängt sehr an einzelnen Leuten.

I. K.: Zudem zeigt sich, was sich in einem partizipativen Prozess gemeinsam erreichen lässt. Wir geben ja nur Hilfestellung. Aber der Knackpunkt ist, dass im Verfahren diejenigen aktiv mitreden dürfen, um die es primär geht und über deren Köpfe hinweg sonst zumeist entschieden wird. Und es geht um nachhaltige Lösungen. Inzwischen sind wir nach diesem Muster landesweit in 204 Städten aktiv. Jede ist dabei anders, hat ihre eigenen Probleme. Gerade Jakarta ist ein schwieriges Pflaster – nicht nur wegen der schieren Größe der Hauptstadt. Auch die Amtsträger sind dort etwas weniger offen.

Welche weiteren Themenfelder gibt es da?

I. K.: Auf Borneo siedeln viele Menschen traditionell an Flussläufen. Die sind einerseits wichtige Trinkwasserquellen, andererseits aber oft durch Abwässer verunreinigt. Das ist selbst hier in Solo ein Problem. Vielerorts werden Arme durch Gentrifizierung verstärkt aus den Stadtzentren vertrieben. Und generell sind Stadtplanungsprozesse mit den Aufgabenstellungen durch den Klimawandel noch zuwenig im Einklang. Besonders Küstenstädte stehen vor vielen Problemen, sich an die neuen, wachsenden Bedrohungen wie Überflutungen anzupassen. Wir arbeiten generell mit weiteren Partnern zusammen – anderen NGOs wie Misereor oder Fachleuten von der deutschen Universität Marburg.

Indy Kana arbeitet im Bereich Kommunikation und Bima Putra als Stadtplaner bei der Organisation »Kota Kita« in der indonesischen Stadt Surakarta auf Java

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