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Aus: Ausgabe vom 12.06.2024, Seite 8 / Inland
Palästinasolidarität

»Gaza ist für Jahrzehnte nicht mehr bewohnbar«

Bayern: Konferenz »Koloniale Gewalt und der Weg zur Gerechtigkeit«. Ein Gespräch mit Ulrich Nitschke
Interview: Hendrik Pachinger
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Ergebnis eines Luftangriffs des israelischen Militärs: Eine Frau mit zwei Kindern läuft durch Trümmer in Gaza (9.6.2024)

In Nürnberg fand Ende Mai die 3. Internationale BIP-Konferenz statt. Organisiert wurde sie vom Verein »Bündnis für Gerechtigkeit zwischen Israelis und Palästinensern«. Das Motto der Konferenz war »Koloniale Gewalt und der Weg zur Gerechtigkeit«. Sind Sie zufrieden mit Beteiligung und Ablauf?

Ja, durchaus, sie war mit knapp 200 Teilnehmenden gut besucht. Das lag daran, dass es auch in Deutschland eine wachsende Frustration über die »Staatsräson« der letzten Bundesregierungen gegenüber Israel gibt. Denn damit sind über 35.000 getötete Palästinenser im Gazastreifen und im Westjordanland verbunden.

Eine derartige Konferenz in Deutschland abzuhalten, ist nicht ohne Risiken möglich. Gab es zuvor Probleme?

Es gab starke Sicherheitsvorkehrungen seitens der Polizei, und ein Bombenspürhund ist vor der Konferenz durchs Gebäude gezogen. Alles in allem muss ich aber sagen, im Gegensatz zu dem brutalen Vorgehen gegen Studierende bei den Unibesetzungen, dem brutalen Zerschlagen der Palästina-Konferenz in Berlin, den Einreiseverboten für hochrangige palästinensische und israelische Professoren nach Deutschland ist unsere Konferenz nicht tyrannisiert worden.

Viele Referenten sind für ihre klare Haltung zum Konflikt bekannt. Einem von ihnen, Norman Paech, wird deshalb seit Jahren Antisemitismus vorgeworfen.

Norman Paech ist ein international anerkannter Völkerrechtler. Eigentlich werden und wurden in den letzten Jahren durch die einseitige proisraelische Politik und die Blindheit deutscher Staatsräson alle Menschen als Antisemiten beschimpft, die sich kritisch gegen israelische Kriegsverbrechen oder antidemokratische Praxis in Israel öffentlich ausgesprochen haben und weiterhin aussprechen. Obwohl, wie gesagt, die Mehrheit der Deutschen ist klar gegen diesen Völkermord und will auch, dass Netanjahu in Den Haag verurteilt wird.

Ein Highlight war sicherlich der Auftritt der Sonderberichterstatterin der UN für das besetzte Palästina. Was berichtete Francesca Albanese?

Die UN-Menschenrechtsberichterstatterin hat deutlich gemacht, dass Deutschland eine besondere Verantwortung für Gerechtigkeit zwischen Palästinensern und Israelis hat und sich durch einseitige proisraelische Äußerungen weltweit isoliert hat. Die BRD werde nicht mehr ernst genommen im Ausland, wenn wir Russland mit Sanktionen belegen, den Völkermord in Gaza und die Siedlerübergriffe in der Westbank aber verschweigen. Nicht nur Israel, auch die Palästinenser haben das Recht auf einen Staat und Selbstverteidigung, insbesondere nach über 75 Jahren der Vertreibung und Besatzung ihres Landes.

Mit dieser Meinung war sie nicht alleine?

Auch alle weiteren Referenten, wie Amira Hass, die berühmte Haaretz-Journalistin, und Hassan Jabareen von der Menschenrechtsorganisation Adalah (in Haifa ansässige unabhängige Menschenrechtsorganisation für die politische und juristische Interessenvertretung der arabischen Minderheit in Israel, jW) sowie die erste arabische Knesset-Abgeordnete, Haneen Zoabi, haben auf die Anerkennung der Grundrechte der Palästinenser hingewiesen. Ohne eine finale Anerkennung des Staates Palästinas, endlich auch durch Deutschland, wird es weder eine wirkliche Zweistaatenlösung noch eine realistische Perspektive für alle Palästinenser geben können, so der Tenor der Vorträge. Gaza ist für Jahrzehnte nicht mehr bewohnbar und Deutschland liefert immer noch Waffen an die Kriegsarmee Israels; das kann man keinem nachdenkenden Menschen hierzulande noch in anderen Ländern erklären.

Gab es trotz der komplexen Lage Lösungsvorschläge?

Tamar Amar-Dahl, Historikerin aus Berlin, hat aufgezeigt, dass die zionistische und rechte Politik Netanjahus nur durch internationalen Druck und Sanktionen beendet werden kann. Gerade das muss uns alle und die Regierung in Berlin veranlassen, aus politischer Verantwortung gegenüber dem Staat Israel für klare Sanktionen zu sorgen, sonst hat Demokratie in Israel keine Chance.

Ulrich Nitschke ist Mitbegründer des Vereins »Bündnis für Gerechtigkeit zwischen Israelis und Palästinensern« (BIP)

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