Gut gemeint, schlecht gemacht
Von Erich Hackl»Am weißen Fluss«, nämlich an der Alm im gleichnamigen oberösterreichischen Tal, siedelt Bruno Schernhammer seinen neuen Roman an und bleibt damit dem Schauplatz seines Erstlingswerkes »Und alle winkten. Im Schatten der Autobahn« (2018) treu, in dem er die Leiden der Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen beim Trassen- und Brückenbau geschildert hat. Dort, im idyllischen Almtal, ist der Autor aufgewachsen, und dorthin kehrt er zurück, um in drei langen Kapiteln und einem Epilog einen lang verschwiegenen und bis heute unzureichend erforschten Aspekt der Naziverbrechen zu behandeln: den Kindesraub an polnischen und sowjetischen Arbeiterinnen im Gau Oberdonau. Die Kinder wurden den Frauen nach der Entbindung weggenommen und in »fremdvölkische« Anstalten eingeliefert, in denen die meisten verhungerten oder an Mangelkrankheiten verstarben. Diejenigen, die aufgrund ihres Aussehens (blond, blauäugig) von Pflegefamilien aufgenommen wurden, suchten in den Jahrzehnten nach der Befreiung, fast immer vergeblich, nach ihren leiblichen Müttern.
Es ist also eine herzzerreißende Geschichte, die Schernhammer sich vorgenommen hat, und dafür gebühren ihm Aufmerksamkeit und Respekt. Auch Anerkennung, weil er weder zur Sentimentalität neigt, noch in Versuchung gerät, den infamen Gauleiter August Eigruber – der als dramaturgischer Widerpart der Protagonistinnen Rosa und Maria unverzichtbar ist – zu dämonisieren. Die Unfähigkeit des Autors, sich schreibend in Menschen hineinzuversetzen, so dass sie den Lesern, Leserinnen vertraut werden, erweist sich hier von Vorteil: Eigruber erscheint in Schernhammers Roman als engstirniger, in Pedanterie und Fanatismus ungemein hohler Geselle, in dessen Gesellschaft sich selbst der Teufel gelangweilt hätte.
Bei Rosa und Maria hingegen – und ihrem Umfeld – verleidet einem der unbeholfene Erzählduktus jede Freude an der Lektüre. Das liegt auch an der Eigenart des Autors, mündliche Äußerungen vorwiegend in der indirekten Rede wiederzugeben, also an der Künstlichkeit des Ausdrucks, am absurden Einfall, den Roman wie ein wissenschaftliches Werk mit Fußnoten zu bestücken, um, beispielsweise, als Interpreten eines Schlagers, den Rosa vor sich hin trällert, Willy Fritsch oder Marika Rökk auszuweisen, und vor allem an einer Unsitte, die schon Karl Kraus auf die Palme gebracht hat: die von Generationen unbedarfter Grundschullehrerinnen und Zeitungsredakteure tradierte Gepflogenheit nämlich, das Sprecherverb durch möglichst unsinnige Synonyme zu ersetzen. Bei Schernhammer werden Sätze nicht gesagt, sondern geschluchzt, gefaucht, geschmunzelt, gegrinst, gelacht, geseufzt, bekundet, bezirzt und aus dem Mund gesprudelt, jedenfalls unmittelbar mit Emotionen und Handlungen der Figuren verbunden. Das Ergebnis ist von ungewollter Komik: »Ihr könnt ja gar nicht lesen, dreht Maria den Spieß um.« Oder: »Nachschub in Sicht! kehrt er zum Besprechungstisch zurück.«
Auch Schernhammers erster Roman war nicht frei von Patzern aller Art. Aber er machte sie durch die Sympathie wett, die er für die Geschundenen aufbrachte, und durch sein dieser Zuwendung geschuldetes Vermögen, in der Darstellung der schrecklichen eine bessere Welt erahnen zu lassen, in der sie sich miteinander verbünden. »Am weißen Fluss« ist ihm das nicht gelungen; der Befund wird ihn nicht davon abhalten, weiterzuschreiben.
Bruno Schernhammer: Am weißen Fluss. Die Kinder des Almtals. Verlag der Theodor-Kramer-Gesellschaft, Wien 2024, 228 Seiten, 24 Euro
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