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Aus: Ausgabe vom 13.06.2024, Seite 10 / Feuilleton
Musik

Jede Hilfe macht Hoffnung

Die Sonderausstellung »Bilder der Resilienz. Flucht und Musik im Exil« im Foyer der Berliner Philharmonie
Von Sigurd Schulze
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»Die Musiker nutzen die Sprache der Musik, um auf die Arbeit der UN-Flüchtlingshilfe aufmerksam zu machen«

Schon der Titel der Ausstellung zeigt die Neigung der Berliner Philharmoniker zum Abstrakten. »Bilder der Resilienz. Flucht und Musik im Exil«. »Resilienz« – ein Modewort, breitgetreten von geltungsbedürftigen Politikern (oder von Militärstrategen, die es nötig haben) – soll »(psychische) Widerstandskraft« bedeuten. Vom Inhalt der Ausstellung her auch zutreffend, aber man könnte viel einfacher sagen: »Musik macht Mut und weckt Selbstvertrauen.« Und das ist ganz im Sinne der Musiker, wenn man den Zusammenhang erfährt.

Das Flüchtlingselend in aller Welt sieht jeder jeden Tag im Fernsehen. 114 Millionen Menschen sind auf der Flucht. Ihnen zu helfen, ist ein Mammutwerk. Eine der bekanntesten Hilfsorganisationen ist die UN-Flüchtlingshilfe UNHCR. Sie braucht und sie findet Helfer, auch in Gestalt der Berliner Philharmoniker. Seit 2021 ist das Orchester musikalischer Botschafter der UN-Flüchtlingshilfe.

»Die Geschichten der Fotoausstellung verdeutlichen uns, in welch privilegierter Situation wir uns befinden: Wir können unserer Leidenschaft nachgehen, sie sogar als Beruf ausüben, ohne Angst vor Verfolgung und Verlust«, schreiben Eva-Maria Tomasi und Stefan Dohr, die Orchestervorstände, im Flyer zur Ausstellung. Die Musiker nutzen die Sprache der Musik, um auf die Arbeit der UN-Flüchtlingshilfe aufmerksam zu machen. Mit Spendenaufrufen und Benfizkonzerten haben sie seit September 2021 270.000 Euro gesammelt.

In der Autonomen Region Kurdistan im Irak zum Beispiel existieren 20 Flüchtlingscamps mit vertriebenen Syrern, Jesiden, Assyrern und anderen. Dort hat die UN-Flüchtlingshilfe eine relativ stabile Hilfe aufgebaut, so dass aus akuter Nothilfe ein Programm zur langfristigen Verbesserung der Lebensbedingungen einschließlich der Förderung der Bildung entstanden ist. Mit dem Geld der UN-Flüchtlingshilfe wurden zum Beispiel 26.000 Flüchtlingskinder in öffentlichen Schulen eingeschult und 140.000 Arztsprechstunden und medizinische Beratungen für syrische Flüchtlinge abgehalten. 7.800 gefährdete Familien erhalten monatlich Bargeldzahlungen. Dies ist möglich, auch durch die Spenden der Berliner Philharmoniker. Angesichts des Massenelends hat das vielleicht alles Grenzen, aber jede Hilfe macht Hoffnung.

Wer die kleine Ausstellung im Foyer der Philharmonie betritt, wundert sich zuerst einmal über die Fotos mit freundlichen, ja strahlenden Gesichtern. Dies sind die Gesichter von Menschen zwischen zehn und 50 Jahren, denen die Unterstützung der Flüchtlingshilfe Hoffnung auf ein besseres Leben gemacht hat und denen die Musik einen Lebensinhalt gibt.

Der bekannte Berliner Fotograf Mathias Bothor ist in die Region gereist und hat dort Menschen gefunden, die aktiv Musik betreiben, sei es mit der traditionellen Langhalslaute Saz, mit Gitarre, Geige oder mit Gesang. »Musik ist meine Lebensader und Teil meines täglichen Lebens«, sagt der 20jährige Kerim aus der Sindschar-Region. Einer der Jungen will Musiklehrer werden, andere verbreiten Musik über Social-Media-Kanäle. Manche zeigen sich stolz vor ihrer Nationalfahne. Der Sänger und Dichter Ali Darwish Ali, 50, Jeside, ist im Irak anerkannter Künstler. Er hat im Camp ein provisorisches Gemeindezentrum aufgebaut, um in der Gemeinschaft Musik und Kunst zu pflegen.

Im Camp »Mam Rashan« besteht eine Schule mit einer eigenen Musikklasse. Wo der »Islamische Staat« verdrängt werden konnte, pflegen Jesiden und Assyrer ihre Religion, bei der die Musik eine große verbindende Rolle spielt. Dies sind Beispiele, die den Berliner Philharmonikern bei ihrer Unterstützung der Flüchtlingshilfe Auftrieb geben.

Die Erklärungen zu den Fotos und die Aussagen der Porträtierten sind leider nicht auf Tafeln zu lesen. Sie stehen auf Wunsch des Künstlers nur im Flyer. Aber wer nimmt sich dafür die Zeit? Zudem sind einige beeindruckende Persönlichkeiten abgebildet, die im Flyer nicht vorkommen. Wer sind sie? Die Ausstellung, eine Art Rechenschaftsbericht, bietet fast am Rande interessante Informationen über das Leben von Flüchtlingen in einem Gebiet, von dem beim Auf und Ab der Kämpfe schwer ein Bild der Situation zu gewinnen ist.

Doch machen wir uns nichts vor. Die Lage der Masse der Flüchtlinge ist katastrophal. Dies zu ändern, genügen keine Hilfslieferungen, sondern es hilft nur: Schluss mit den Kriegen.

»Bilder der Resilienz. Flucht und Musik im Exil«, Foyer der Berliner Philharmonie, freier Eintritt, bis 30. Juni 2024

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