Schlange aus der Kiste
Von André WeikardTilda Swinton ist ja bekanntlich der David Bowie unter den Oscar-Preisträgerinnen: ein Paradiesvogel, dem es nicht schrill, verrückt, queer genug sein kann. Journalisten haben sich daran gewöhnt, die Frau mit der Wasserleichenhaut androgyn zu nennen. In »Problemista« hat der bunte Vogel ein passendes Zuhause bekommen. Der Debütfilm von Julio Torres ist ein Biotop des Irrsinns. Erkennbar schon am Plot: Alejandro, ein junger Spielzeugdesigner aus El Salvador, träumt davon, für den US-Konzern Hasbro zu arbeiten. Weil sich da aber keiner für seine Entwürfe interessiert, jobbt er in einer Firma für Kryogenik, sprich, er bewacht eingefrorene Leichen. Und macht das nicht besonders gut. Als Alejandro über ein Kabel stolpert und bei einer Kühlbox den Stecker zieht, wird er gefeuert.
Wie es der Zufall will, lernt er dabei aber eine Kundin des Menschenfrosters kennen. Und da ist sie, Tilda Swinton, alias Elizabeth. Die Kunstkritikerin vom Typus »hysterische Hexe« ist das unfrisierte, rothaarige Chaos in Person. Sie findet Gefallen an Alejandro und stellt ihn als Assistenten ein, um eine Ausstellung zu organisieren. Die muss ein Erfolg werden, sonst kann sie die Stromrechnungen für ihren eingefrorenen Freund Bobby nicht mehr zahlen. Alejandro braucht den Job, weil ihn sonst die Einwanderungsbehörde zurück nach El Salvador schickt.
Es entwickelt sich eine Heldenreise voller Absurditäten, in der Gemälde durch die New Yorker Metro geschleppt werden und Elizabeth die Ausstellung »13 Eier« platzen lässt, weil die Museumswand nur groß genug ist für zwölf Eigemälde. In surrealen Zwischenszenen wird Elizabeth ganz wörtlich zur Hydra, der ein geifernder Drachenkopf nach dem anderen wächst. Alejandro findet sich im kafkaesken Labyrinth der US-Einwanderungsbehörde wieder, wo alle Türen verschlossen sind und nach dem Erklimmen von Aktenschränken und dem Ausstieg über die Zimmerdecke nur das nächste verschlossene Bürozimmer auf ihn wartet.
Ist klar: Autorenfilmer Julio Torres, der auch die Hauptrolle in »Problemista« spielt, und Tilda Swinton passen zusammen wie Arsch auf Eimer. Dass Torres tatsächlich aus El Salvador stammt und den Migrationswahnsinn durchlitten hat, unterstreicht zwar, dass das Leben die verrücktesten Geschichten schreibt, diese Geschichten sind aber sehr weit weg. Die Kunstszene mit ihrer aufgestellten Klugtuerei und Egozentrik bietet zwar eine große Angriffsfläche. Aber interessieren diese Menschen uns wirklich? Und der Behördenbürokratismus? Haben wir darüber nicht schon oft gelacht? Bleiben die eingestreuten Gags von Torres, immerhin Witzeschreiber für die Comedyshow »Saturday Night Live«. Entscheiden Sie selbst: Da gibt’s zum Beispiel Alejandros Spielzeugentwürfe. Darunter ein Scherzartikel mit einer Schlange, die aus einer Kiste springt, um den Öffner zu erschrecken. Sie ist mit einem Zettel versehen: »Sorry, ich war eingesperrt. Dich zu erschrecken, war mein einziger Weg nach draußen.« Lacher?
»Problemista«, Regie: Julio Torres, USA 2023, 104 Min., Kinostart: heute
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