75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Gegründet 1947 Sa. / So., 29. / 30. Juni 2024, Nr. 149
Die junge Welt wird von 2819 GenossInnen herausgegeben
75 Ausgaben junge Welt für 75 € 75 Ausgaben junge Welt für 75 €
75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Aus: Ausgabe vom 14.06.2024, Seite 10 / Feuilleton
Nachruf

Von Wahrheit und Wert der Theorien

Zum Tod des Philosophen und Wissenschaftshistorikers Herbert Hörz
Von Nina Hager und Gerhard Banse
herbert hoerz Kopie.jpg
Herbert Hörz (12. August 1933–8. Juni 2024)

»Große Visionen (sind) erforderlich, wie das Jahrhundert aus der Vergangenheit lernen und eine humane Zukunft auf der Grundlage von Wissen mit wirklicher Demokratie, mit mehr Toleranz und mit erhöhter Verantwortung gestalten kann.« Mit dieser Aussage enden nicht nur die »Lebenswenden«, sondern sie stellt auch das Credo des Lebens von Herbert Hörz dar: »Vom Werden und Wirken eines Philosophen vor, in und nach der DDR« – so der Untertitel der 2005 erschienenen autobiographischen Darstellung. Er gibt darin Auskunft über die Lebensstationen, die für ihn als marxistischer Philosoph und politisch tätiger Mensch bedeutsam waren. Vor wenigen Tagen, am 8. Juni, starb er in Berlin.

Geboren wurde Herbert Hörz am 12. August 1933 in Stuttgart. Er gehörte einer Generation an, die die Grauen des Krieges noch voll erfassen konnte. Wie viele seiner Zeitgenossen brach er auf, um für eine gerechtere Gesellschaft Neues mitzugestalten. Unmittelbar nach dem Abi­tur in Erfurt begann er zu studieren. Philosophie und Physik waren seine Studienfächer in Jena und Berlin von 1952 bis 1956. Diese Kombination wurde prägend für sein wissenschaftliches Werk.

Die Promotion erfolgte 1960 an der Humboldt-Universität zu Berlin. Wie in dieser schlug er auch in der Habilitation 1962 eine Brücke zwischen Philosophie und Naturwissenschaft. Bereits 1956 Assistent, wurde er 1962 Dozent und 1965 Professor mit Lehrauftrag für philosophische Probleme der Naturwissenschaften am Philosophischen Institut der Humboldt-Universität. Im Jahre 1968 wurde er zum ordentlichen Professor berufen.

Sein »Werden und Wirken« war überreich, sowohl an nationalen wie internationalen Aktivitäten, als auch an wissenschaftlichen und populärwissenschaftlichen Erträgen. Hinzu kamen zahlreiche wissenschaftsleitende bzw. organisatorische Funktionen auf Bereichs-, Instituts-, Fakultäts- und Akademieebene, in wissenschaftlichen und wissenschaftsberatenden Gremien.

Die sogenannte Wende von 1989 und vor allem die Abwicklung der Institute der Akademie der Wissenschaften und 1993 schließlich die Auflösung der Gelehrtengesellschaft der Akademie der Wissenschaften der DDR als öffentlich-rechtliche Einrichtung hatten auch für ihn einschneidende Konsequenzen. Er brachte sich jedoch in die von ihm angeregte, 1993 gegründete, aus der Gelehrtengesellschaft hervorgegangene Leibniz-Sozietät ein. In den zurückliegenden mehr als drei Dezennien entfaltete er vielfältige Aktivitäten für die Sozietät. Sowohl als deren Mitglied und Präsident (1998 bis 2006) sowie als Ehrenpräsident seit 2009, als auch durch Vorträge, Diskussionsbemerkungen und Beiträge in ihren Publikationen. Er hat auch hier mit neuen Fragestellungen die wissenschaftliche Debatte angeregt und beeinflusst.

Stets hat er dabei seine eigene Art und Weise der Problembestimmung und -lösung genutzt, basierend auf dem von ihm entwickelten konzeptionellen Verständnis der Funktionen der Philosophie für die Einzelwissenschaften und umgekehrt sowie dessen Weiterentwicklung. Dabei ging es ihm auch um die wissenschaftliche Analyse und theoretische Erklärung des Verhältnisses von Wissenschaft und Humanismus, von Wahrheit und Wert wissenschaftlicher Theorien sowie um die gesellschaftlich bedingten ethischen Forderungen an den Wissenschaftler. Es ist sein bleibendes Verdienst, oftmals Problemsituationen und Möglichkeiten der Problemlösung entschiedener formuliert zu haben als andere oder bereits formuliert zu haben, als andere das Problem noch nicht erkannt hatten.

Abschließend noch etwas Persönliches: Wir Verfasser wären heute wissenschaftlich sicherlich nicht die, die wir sind, wenn unsere Wege sich nicht vor gut 50 Jahren mit seinem gekreuzt hätten und wir seither nicht nur wissenschaftlich, sondern auch persönlich verbunden gewesen wären. Herbert Hörz war in all den Jahren immer ein wichtiger Forderer und Förderer, Ratgeber und Unterstützer, aber auch Kritiker. Dafür gilt ihm unser ganz besonderer Dank.

Großes Kino für kleines Geld!

75 Augaben für 75 €

Leider lässt die Politik das große Kino vermissen. Anders die junge Welt! Wir liefern werktäglich aktuelle Berichterstattung und dazu tiefgründige Analysen und Hintergrundberichte. Und das zum kleinen Preis: 75 Ausgaben der gedruckten Tageszeitung junge Welt erhalten Sie mit unserem Aktionsabo für nur 75 €!

Nach ablauf endet das Abo automatisch, Sie müssen es also nicht abbestellen!

Ähnliche:

  • Metaphysik der Sitten. Kant war der Auffassung, es sei falsch, S...
    22.04.2024

    Stets vernünftig

    Philosophie der Aufklärung. Vor 300 Jahren wurde Immanuel Kant geboren
  • Einheitsfront-Demonstration von Kommunisten und Sozialdemokraten...
    18.03.2024

    Eine Frage der Methode

    Verfechter der Einheitsfront. Annäherungen an das politisch-theoretische Werk von August Thalheimer anlässlich seines 140. Geburtstags
  • Optische Untersuchung der Schallschwingung durch Jules Antoine L...
    16.03.2024

    Wichtigste Denkform

    Friedrich Engels 1878: Die Dialektik bietet die Erklärungsmethode für Entwicklungsprozesse in der Natur und deren Gesamtzusammenhang

Regio:

Mehr aus: Feuilleton