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Aus: Ausgabe vom 14.06.2024, Seite 15 / Feminismus
Sexismus und Fußball

Code »Wo ist Lotte?«

Sexualisierte Gewalt im Stadion. Kurven positionieren sich. Nicht alle Bundesligisten mit Anlaufstellen
Von Oliver Rast
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Engagierte Anhänger des Fußballsports, die nicht nur um Fanrechte ringen (Freiburg, 30.3.2019)

Aktive Fans supporten: ihre Kicker, ihren Klub. Exzessiv, bis zur völligen Hingabe. Zuweilen halten sie inne, schreiten ein: nicht irgendwo, in der eigenen Kurve. Gegen Übergriffe auf Frauen, gegen Sexismus. Etwa bei den Erstligisten SC Freiburg und Werder Bremen in vergangenen Saisons. Ultras flaggten auf meterlangen Bannern in großen Lettern: »Love Football – Hate Sexism« und »Fight Sexism!« Oder unlängst auch im Donaustadion beim frischgebackenen Zweitligaaufsteiger SSV Ulm. Übergriffiges Verhalten werde auf deren Stehplatztribüne nicht toleriert – »niemals« –, steht in einem Flyer Ulmer Ultras. Fanprotest mal anders.

Zu Recht, notwendig allemal. Recherchen des SWR-Investigativformats »Vollbild« belegen das. Dafür hatte das Rechercheteam eine Onlineumfrage von Mitte April bis Anfang Mai gestartet. Rund 2.500 Personen, fast die Hälfte davon Frauen, beteiligten sich nach »Vollbild«-Angaben. Repräsentativ ist die Umfrage nicht. Aussagekräftig schon. Demnach hat fast jede vierte Frau sexualisierte Gewalt im Stadion, in Fanblöcken erfahren. Mindestens einmal. Männer waren zu knapp einem Prozent betroffen. Übrigens sind knapp 40 Prozent des Publikums in den Fußballarenen Frauen.

Die Umfrageergebnisse haben die SWR-Investigativen jüngst im TV ausgestrahlt – Titel: »Tatort Fußball – wie sicher sind Fans vor Übergriffen?« Darin kommen auch Betroffene selbst zu Wort. Die Hand am Hintern, im Schritt, an der Brust. Vorsätzlich. Im (Voll-)Rausch oder nicht. Einer Anhängerin des 1. FC Nürnberg ist das passiert. Im Mai 2022, beim letzten Saisonspiel gegen Schalke 04 im heimischen Max-Morlock-Stadion, nach dem Platzsturm. »Und dann weiß ich nicht, sind mir einfach nur die Tränen gekommen, und ich war dann sehr überfordert in dem Moment«, schildert die 22jährige. Kein Einzelphänomen. Weitere Betroffene erzählen in dem Beitrag ihre sexistischen Stadionerlebnisse. Auch von K.-o.-Tropfen, die ihnen unbemerkt ins Bier gekippt worden seien, oder davon: Typen pinkeln Frauen an. Hinterrücks, mitten im Fanblock.

Die Konsequenzen für die Gedemütigten seien sehr groß, wurde Helen Breit von der Supporters Crew Freiburg am Frauenkampftag gleichfalls vom SWR zitiert. »Ich kenne Frauen, die sind mehr oder weniger im Block aufgewachsen, haben sich nach einem Vorfall dann aber ein halbes Jahr unsicher gefühlt, wie sie sich da jetzt bewegen können.« Andere meiden Fußballspiele in Stadien jetzt komplett.

Aber nicht nur organisierte Fanszenen sind gefordert, ferner Klubs. Anlaufstellen sollen Vereinsverantwortliche einrichten. Nach »Vollbild«-Recherchen haben 13 von 36 Erst- und Zweitligisten der Saison 2023/24 aber noch immer keine. Und die, die Schutzkonzepte haben, versagen oft. Beispiel: Hertha BSC. Hier heißt das Hilfsangebot »Wo ist Lotte?«. Einzelne Aufsteller befinden sich im Olympiastadion mit einer Kontakthandynummer. Helfer vom »Team Lotte« sind zudem in knalligen pinkfarbenen Westen im Stadionumlauf unterwegs, haben einen Schutzraum samt psychosozialer Notfallbetreuung. Jeder Ordner im weiten Rund soll beim Code »Wo ist Lotte?« sofort reagieren, Schutzsuchende an Teamer in Pink vermitteln. Ob das funktioniert, hat »Vollbild« mit versteckter Kamera an einem Spieltag gecheckt. Zwei von vier Getesteten des Stadionpersonals konnten mit dem Hilferuf nichts anfangen. Einer fragte irritiert: »Du suchst was zu rauchen?«

Ein laxer Umgang, der sich verbietet. Zumal Antidiskriminierungsinitiativen seit 2022 zu den Lizenzbedingungen der Deutschen Fußballiga (DFL) gehören. Aber: Diese Inis zählen zu den »C-Kriterien«. Fehlen derlei Konzepte und Anlaufstellen, bleibt das für die Klubs: sanktionslos.

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