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Aus: Ausgabe vom 15.06.2024, Seite 10 / Feuilleton
Oper

Eine besondere Freude

Am 15. Juni wäre der Opernregisseur Joachim Herz 100 Jahre alt geworden
Von Peter Wittig
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Der erste, der die Methodik Brechts im Musiktheater anwandte: Joachim Herz (1924–2010)

Als Joachim Herz 1973 bis 1976 an der Leipziger Oper Wagners »Ring des Nibelungen« inszenierte, war ich gerade dabei, in Dresden Musik zu studieren. Was ich in Leipzig gesehen hatte, spielte ich am nächsten Tag den Kommilitonen vor: »Rheingold«, »Walküre«, »Siegfried« und »Götterdämmerung« als Einmanntheater, mit vollem Stimm- und Körpereinsatz! Außerdem schrieb ich damals für die Zeitung, Herz gewährte mir ein Interview, ich zitiere: »Der kapitalismuskritische Ansatz des ›Nibelungenrings‹ ist bekannt und unbestritten, auf der Bühne gezeigt wurde er noch nie.« Herz zeigte ihn, in höchst überraschenden und – das war für ihn entscheidend – verständlichen Bildern. Der Bayreuther Jubiläums-»Ring« 1976 von Patrice Chéreau wäre ohne das revolutionäre Leipziger Modell undenkbar gewesen.

Anderthalb Jahrzehnte später war ich Meisterschüler von Herz, der letzte, den er annahm. Dann kam das Ende der DDR und das Ende der Institution Meisterschüler an der Akademie der Künste.

Die Leipziger hatten zu dieser Zeit Herz schon verloren. Nach einem Umweg über die Komische Oper Berlin war er Chefregisseur der Semperoper in Dresden geworden. Zwar bekam ein Journalist auf die dreiste Frage »Berlin–Dresden, ist das ein Abstieg?« die trotzige Antwort: »Höher geht’s nimmer«, doch in der Rückschau sah Herz in seiner Leipziger Zeit 1959 bis 1976 »die sinnvollsten Jahre meines Lebens«. Er war gefragt von Moskau bis Buenos Aires, doch in Leipzig schrieb er Theatergeschichte. Nicht nur mit Wagner; auch mit dem slawischen Repertoire. Dass er aus der Schule Heinz Arnolds und Walter Felsensteins kam, pflegte er stets zu betonen. Er war der erste, der die Methodik Brechts im Musiktheater anwandte. Das Berliner Ensemble hätte ihn gern einmal engagiert. Aber Schauspiel traute er sich nicht zu.

Dass vom »Ring« kein einziger Meter Film existiert, lag ihm hart auf der Seele. Doch auf Youtube zu sehen sind seine Inszenierungen von »Mahagonny«, »Butterfly« (beide an der Komischen Oper) und von Schostakowitschs »Nase« (Dresden). Den »Holländer«-Film gibt’s sogar auf DVD zu kaufen.

Die Komische Oper ernannte ihn, wenn auch sehr spät, zum Ehrenmitglied. Der Dresdener Nachwendeintendant Christoph Albrecht ließ Herz wissen: So hoch wie er ihn schätze, könne er ihn gar nicht bezahlen, deshalb entlasse er ihn. In der Situation bewies Udo Zimmermann, inzwischen Intendant in Leipzig, Format und engagierte Herz stehenden Fußes 1991 für eine Inszenierung von György Ligetis »Le Grand Macabre«. Die Leipziger Bühnentechniker machten Herz eine besondere Freude: Sie holten für ihren früheren Operndirektor ein altes Regiepult aus dem Magazin, das ihm 1960 die damaligen Kollegen gezimmert hatten.

Was danke ich als Regisseur ihm, meinem hochverehrten, herausfordernden Lehrer? Dass er mir Maßstäbe vermittelt hat. Dass er niemals versucht hat, aus mir einen kleinen Herz zu machen. Er hat mich meinen Weg finden lassen und mich auf diesem Weg vorangetrieben. Weit über die Meisterschülerzeit hinaus nahm er streitbaren Anteil an meiner Arbeit. Wir haben uns später entzweit, wie es zwischen Lehrern und Schülern manchmal leider vorkommt. Einmal schrieb er mir noch: als er zum Dr. h. c. ernannt wurde. Da wollte er, dass ich mich mit ihm freue.

Peter Wittig ist Regisseur und Ko­leiter des Berliner Simon-Dach-Projekttheater (Sidat!)

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