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Aus: Ausgabe vom 17.06.2024, Seite 7 / Ausland
Südafrika

Hauptsache pro Business

Südafrikas ANC koaliert mit Wirtschaftsliberalen. »Regierung der nationalen Einheit« ohne Kräfte, die Besitzverhältnisse in Frage zu stellen
Von Christian Selz, Kapstadt
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Da halfen auch übergroße Siegerposen nichts: Ramaphosa muss die Macht künftig teilen (Johannesburg, 25.5.2024)

Cyril Ramaphosa bleibt Präsident Südafrikas. Das steht seit Freitag abend kurz vor Mitternacht fest. Bei der Abstimmung des am selben Tag neu konstituierten Parlaments setzte sich der Amtsinhaber und Präsident des seit Ende der Apartheid 1994 ununterbrochen regierenden African National Congress (ANC) mit einer deutlichen Mehrheit von 283 zu 44 Stimmen gegen Julius Malema von den linken Economic Freedom Fighters (EFF) durch. Neu ist allerdings die Herkunft der Stimmen für Ramaphosa.

Denn der ANC hatte bei den Wahlen am 29. Mai erstmals überhaupt seine absolute Mehrheit eingebüßt und stellt nur noch 159 der 400 Abgeordneten. Ramaphosa stützt sich nun, so hat er es in seiner Danksagung nach der Abstimmung im Parlament erklärt, auf eine »Regierung der nationalen Einheit«, der »mehrere« Parteien angehören. Ein schriftliches Zusammenarbeitsabkommen gibt es bisher allerdings lediglich mit der wirtschaftsliberalen, maßgeblich von Weißen gelenkten Mittel- und Oberschichtspartei Democratic Alliance (DA), die mit 87 Parlamentariern die zweitgrößte Fraktion stellt.

Die künftige politische Ausrichtung der Regierung bleibt so mit etlichen Fragezeichen versehen. Selbst die Einigung mit der DA ist alles andere als ein Koalitionsvertrag, sondern hält im wesentlichen vage gemeinsame Ziele fest, die sich am ehesten unter der Prämisse »Wir wollen besser und weniger korrupt regieren« zusammenfassen lassen. Wie genau die lediglich in Stichworten festgehaltenen politischen Grundsätze des Abkommens – darunter Allgemeinplätze wie Wirtschaftswachstum, Armutsbekämpfung, transparente Regierungsführung oder »evidenzbasierte Politik und Entscheidungsfindung« – umgesetzt werden sollen, darüber gibt es bisher keinerlei Verständigung.

Doch das von ANC-Generalsekretär Fikile Mbalula und DA-Chefin Helen Zille unterschriebene Papier ist bisher das einzige greifbare Dokument, das Hinweise gibt. Mit den anderen Parteien, die in der geheimen Wahl für Ramaphosa gestimmt haben müssen, gibt es gleich gar keine offiziellen Vereinbarungen. Es ist nicht einmal abschließend geklärt, wer sich alles als Teil der vom ANC ausgerufenen Regierung der nationalen Einheit ansieht. Als wahrscheinliche Kandidaten gelten die rechte Zulu-Partei Inkatha Freedom Party (IFP, 17 Sitze), deren bewaffneter Arm noch in den frühen 1990er Jahren unterstützt vom Apartheid-Geheimdienst Massaker an ANC-Anhängern verübte, und die nationalistische Patriotic Alliance des verurteilten Räubers und Exhäftlings Gayton McKenzie (neun Sitze). ANC-Generalsekretärin Mbalula hatte am Donnerstag im Rahmen einer Pressekonferenz zudem erklärt, auch die extrem rechte Weißenpartei Freedom Front Plus (sechs Sitze) werde der Regierung der nationalen Einheit beitreten. Deren Chef erklärte tags darauf allerdings, er wolle eine Untersuchungskommission gegen Staatschef Ramaphosa beantragen.

Definitiv nicht Teil des Einheitsblocks ist die neu gegründete uMkhon­to weSizwe Party (MK) von Expräsident Jacob Zuma, eine Art Allianz verstoßener Ex-ANC-Kleptokraten, die aus dem Stand 58 Sitze erreichte, das Wahlergebnis aber gerichtlich anfechten will und die erste Parlamentssitzung boykottierte. Der Regierung nicht beitreten werden zudem die 2013 vom ANC abgespaltenen EFF (39 Sitze) sowie etliche weitere ethnisch orientierte und antiwestliche Kleinstparteien.

Im Kern koaliert Ramaphosa also mit den historischen Gegnern des ANC. Die vorgebliche nationale Einheit – wohlgemerkt erzielt auf Grundlage einer Wahlbeteiligung von nur noch 39 Prozent – schließt all jene aus, die eine Veränderung der Besitzverhältnisse anstreben: ob radikal sozialistisch wie die EFF oder rückwärtsgewandt und auf die traditionellen Stammesfürsten fokussiert wie Zumas MK. EFF-Chef Malema sprach in seiner Dankesrede dann auch von einer »Zweckhochzeit, um die Macht des weißen Monopolkapitals über die Wirtschaft und die Produktionsmittel zu konsolidieren«. Wie lange der ANC, der seine Basis in der südafrikanischen Arbeiterklasse hat und zudem noch immer Teil einer Allianz mit dem Gewerkschaftsbund und der Kommunistischen Partei ist, diese Zerreißprobe aushält, wird sich zeigen. Erste Signale dürfte es ab Mittwoch geben, wenn Ramaphosa nach seiner Vereidigung sein Kabinett aufstellt.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Detlev R. aus z.Zt Berlin (16. Juni 2024 um 23:01 Uhr)
    Ich würde die als GNU (Government of National Unity) bezeichnete Vereinbarung eher als »Grand Coalition« (Große Koalition – GroKo) bezeichnen. Ein agrément zwischen den beiden größten Fraktionen im südafrikanischen Repräsentantenhaus. Diese Konstellation ist ganz nach den Wünschen der internationalen Finanzmärkte, dem Big Bussiness im Lande sowie den ausländischen Großinvestoren. Gleichzeitig muss man feststellen: Der Ablauf der mit viel Spannung und teils Nervosität erwarteten ersten Parlamentssitzung verlief organisiert und glatt. Der große »Aufstand« blieb aus. Ob das hält, bleibt abzuwarten. Denn die zahlenmäßig größte und damit »offizielle« Oppositionsfraktion, Zumas MK Party, wird ja noch rechtzeitig im nationalen Parlament aufkreuzen. Bei dieser ethno-nationalistischen Truppe dürfte sich inzwischen auch einiger Frust angesammelt haben. In Zumas Heimatprovinz KwaZuluNatal (KZN) verlief die Wahl des Premiers nicht nach den Wünschen der MKP, die im Provinzparlament mit immerhin 45 Prozent der Wählerstimmen die größte Fraktion stellt. Trotzdem wurde der IFP-Kandidat zum Premier gewählt, offensichtlich mit ähnlichen Absprachen wie im Nationalen Parlament, d. h. mit dem ANC unter Ausschluss der MKP und der EFF. Wie stark der Einfluss der liberalen DA in der nationalen Regierung sein wird, muss sich noch zeigen. Ein großer Teil der ANC-Basis ist über das Zweckbündnis mit der DA nicht glücklich. Die Verfassung gibt dem Staatspräsidenten Entscheidungsfreiheit (prerogative) bei der Zusammensetzung seines Kabinetts. Der »Konsens-Mensch« Ramaphosa wird den Balanceakt vollbringen müssen, sowohl mit den neuen Regierungspartnern als auch mit »seinem« ANC den Konsens herzustellen. Die Quadratur des Kreises? Das Durchschlagen des Gordischen Knotens? Egal. Unterm Strich wird jede Regierung daran gemessen, wie sie die drei Großaufgaben erfüllt: Armut, Ungleichheit und Massenarbeitslosigkeit zu beseitigen. Den Menschen ein besseres Leben zu ermöglichen. A luta continua!

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