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Aus: Ausgabe vom 17.06.2024, Seite 16 / Sport
Fußball-EM

Passspiel siegt

In der Höhe verdient: Das deutsche Team schlägt zum Auftakt der EM die schottische Auswahl
Von Felix Bartels
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Messi wär das nicht passiert: Leroy Sané bleibt in der Abwehrreihe stecken

Kurz vor elf konnte man dann die Grillen zirpen hören. Als wären die Deutschen soeben mal wieder an Italien gescheitert. Aber hier: Die EM im eigenen Land, ein 5:1 zum Auftakt, gut gespielt wie lange nicht – unter anderen Umständen wär da ein Krach gewesen zum Mitdemkopfunterskissentauchen. Es war ja nicht der auch damals schon eher harmlose Fußballpatriotismus, der einem 2006 die Lust am internationalen Turnier vergällte. Es war die Leutseligkeit, dieser Zwang zur Fröhlichkeit, das Sichvereinnahmtfühlen. Man wusste, dass es den meisten da beim Fußball nicht um Fußball geht.

Anders als Wagner vermeintlich vermeinte, wird in Deutschland selten was um seiner selbst willen getan. Die Landsleute hier sind stets dafür oder dagegen, um etwas zu beweisen. Im übermäßigen Interesse am Sommermärchen lag ein Desinteresse am Spiel, fremd blieb die Freude am Turnier, das Anerkennen großer Leistung, die Neugier auf steigende und sinkende Sterne. Als Zidane im Finale noch einmal gezeigt hatte, warum er vom anderen Stern kommt, und als er dann mit einem Move seine Karriere abschloss, der ihn ein zweites Mal unsterblich machte – das war Fußball, und er wurde gespielt, als Klinsmann und seine Jungs vielleicht schon am Strand lagen.

Irgendwie sind die Leute jetzt mit anderem beschäftigt. Dem Aufstieg der Rechten, einer Ampel außer Betrieb, den Kriegen in Europa und im Nahen Osten, Inflation, Mietwahnsinn, Zerfall der öffentlichen Verkehrsmittel, Outsourcing, Kulturkämpfen um Pronomen, Quoten und Ernährung. Nicht mal der Eskapismus macht noch Spaß. Und eben deswegen macht es wieder Spaß. Am 14. Juni ging es tatsächlich mal wieder um Fußball.

Tobendes Dreieck

Julian Nagelsmann hatte sich nicht für die beste Aufstellung, sondern für die Aufstellung der Besten entschieden. Kann man machen, zumal nicht bloß taktisches Profil über die Abläufe entscheidet, sondern auch das Verständnis der Spieler füreinander. Zuvor war darauf hingewiesen worden, dass Gündoğan das Spiel vielleicht langsamer mache, als das vor ihm tobende Dreieck Wirtz-Musiala-Havertz das braucht. Auf dem Platz sah man davon nichts. Von Anbeginn übte die Raute Druck auf die Schotten aus. Der Verzicht auf die gut eingespielte Stuttgart-Achse Mittelstädt-Führich-Undav war möglicherweise kalkuliert. Solche Verbindungen können dem Spiel gut tun, es aber auch ausrechenbar machen und die anderen Teile der Mannschaft ausschließen. Etwas seltsam in der Tat wirkten die Einwechslungen. Zumindest die von Sané, der das Spiel mit seiner Fixierung aufs Dribblen pomadig machte und mehrfach feststellen musste, dass er dann doch nicht Messi heißt. Müller kam in einer Phase, als die Schotten bereits tief gestaffelt standen. Er lebt bekanntlich von seinem Raumverständnis, kann der Mannschaft aber nur wenig helfen, wenn die Räume eng bleiben. Gerade richtig dagegen war die Hereinnahme von Füllkrug, der in dichten Strafraumsituationen gut zurechtkommt.

Schottland hatte in seinem Abwehrverhalten gegen einen extrem dominanten Gegner die Wahl zwischen aggres­sivem Pressing und Schließen der Räume. Man entschied sich zunächst für ein verhaltenes Pressing mit Beginn auf Höhe des eigenen Drittels (also recht spät), in der zweiten Halbzeit zog man sich ganz in die tiefe Raumsicherung zurück. Das hatte den Vorteil, dass keine Lücken rissen. Der Nachteil war, dass die deutsche Mannschaft sich in einen Rhythmus kombinieren konnte. Zwar fand sie wenig Lücken für vertikale Pässe oder Tempodribblings, aber die Strategie des Raumschließens funktioniert nur dann, wenn der Angreifer nicht auf gefährliche Distanzschüsse zurückgreifen kann. Der deutsche Kader hat allerdings die Spieler dazu. Fast alle Chancen und Tore wurden an diesem Abend aus der Distanz erzielt.

683 Pässe

Gewonnen hat am Freitag auch der Ballbesitzfußball. Die Debatte um ihn ist, wie so vieles in Deutschland, ideologisch aufgeladen. Manche sehen ihn als Verrat an der deutschen Spielweise: zu verspielt, zu überlegt, zu importiert. In der Bundesliga dominiert zudem das Umschaltspiel, nach wie vor, auch wenn mit Stuttgart, Leverkusen und Bayern drei Mannschaften die Liga bestimmt haben, die deutlich kombinatorischer spielen. Unglaubliche 683 Pässe spielte Nagelsmanns Truppe, bei einer Passquote von 94 Prozent. Der Ertrag waren 20 Torschüsse, demgegenüber Schottland auf einen kam. Schön wär, man könnte auch von den Schotten berichten. Aber ihre Mannschaft war praktisch nicht vorhanden. Der beste Schotte auf dem Platz hieß Antonio Rüdiger, er köpfte gekonnt zum Zwischenstand von 1:4 ein.

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