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Aus: Ausgabe vom 18.06.2024, Seite 6 / Ausland
Kaschmirkonflikt

Modi statuiert Exempel

Indien: Autorin Arundhati Roy soll wegen verjährter Äußerungen zu Kaschmir belangt werden
Von Jörg Tiedjen
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Streitbar und immer auf der Seite der Unterdrückten: Die indische Autorin Arundhati Roy (Neu-Delhi, 15.12.2019)

Die britische Wochenzeitung The New Statesman war sich am Montag sicher: Indiens Regierungschef Narendra Modi sei »entschlossen zu zeigen, dass niemand, der sich seinem Regime widersetzt, sicher ist«. Während der soeben erneut im Amt bestätigte, aufgrund eines schwachen Wahlergebnisses aber leicht angeschlagene Premierminister von der extrem rechten Indischen Volkspartei (BJP) außer Landes weilte, um zuerst am G7-Gipfel in Italien, dann an der Ukraine-Konferenz in der Schweiz teilzunehmen, ließ nämlich der Gouverneur von Neu-Delhi am Freitag eine veritable Bombe platzen: Er erteilte den Strafverfolgungsbehörden die Erlaubnis, die Schriftstellerin Arundhati Roy und Scheich Showkat Hussain, einen emeritierten Professor für Völkerrecht, wegen 14 Jahre alter Aussagen zum Kaschmirkonflikt vor Gericht zu bringen. Der Fall erhielt unmittelbar weltweite Aufmerksamkeit, schließlich handelt es sich bei der 62jährigen Roy um die wohl bekannteste zeitgenössische Autorin des Landes, die auch in Sachen Politik nie ein Blatt vor den Mund nahm.

Roy und Hussain hatten im Jahr 2010 vor dem Hintergrund blutiger Unruhen im von Indien kontrollierten Teil Kaschmirs mit mehr als 100 von der Polizei getöteten Demonstranten auf einer Konferenz in Neu-Delhi unter anderem gesagt, dass die Bergregion »nie ein integraler Bestandteil Indiens« gewesen sei. Darauf waren Roy, Hussain und weitere Tagungsteilnehmer, die heute bereits verstorben sind, von BJP-Anhängern wegen »antiindischer Äußerungen« angezeigt worden.

Lange geschah jedoch erst einmal nichts. Bis vergangenen Oktober das Regierungspräsidium von Neu-Delhi die Erlaubnis gab, Roy und Hussain wegen »Förderung der Feindschaft zwischen verschiedenen Gruppen«, »Unterstellungen und Behauptungen, die der nationalen Integration abträglich sind«, sowie »Äußerungen, die zu öffentlichem Unheil führen«, juristisch zu belangen.

Der Bescheid hatte allerdings einen Haken: Denn nach der indischen Gesetzgebung dürfen die genannten Vorwürfe nicht länger als vier Jahre zurückliegen, um noch justitiabel zu sein. Der Gouverneur der Hauptstadtregion stellte die Anschuldigungen daher in der vergangenen Woche auf eine neue Rechtsgrundlage, um trotzdem eine Anklage zu ermöglichen. Dem Erlass von Freitag zufolge sollen beide nun gegen das als »Antiterrorgesetz« apostrophierte »Gesetz zur Prävention illegaler Aktivitäten« (UAPA) verstoßen haben, bei dem Verstöße nicht so schnell verjähren. Wie aber die Bürgerrechtsorganisation »Volksunion für zivile Freiheit« in einer ebenfalls am Freitag auf der Infoseite Countercurrents veröffentlichten Stellungnahme schreibt, müsste das Gericht jetzt nachweisen, dass die beanstandeten Redebeiträge in Zusammenhang mit aktuellen Gewalttaten stehen, gegen die mit Hilfe des UAPA vorzugehen wäre.

Der Kaschmirkonflikt ist das Erbe einer unvollständigen Dekolonisierung. Er rührt vor allem daher, dass sich dort am Ende der britischen Kolonialzeit eine muslimische Mehrheitsbevölkerung unter nomineller Herrschaft eines hinduistischen Fürsten befand. Dieser hatte bei der Teilung 1947 die Wahl, ob das Land künftig zu Indien oder zu Pakistan gehören solle. Er entschied sich für die erste Möglichkeit, worauf es unmittelbar zum Konflikt mit Pakistan kam. Die Folge waren mehrere Kriege zwischen den beiden verfeindeten Nachbarn. Seitdem gilt Kaschmir, wo es zudem eine starke Unabhängigkeitsbewegung gibt, als Pulverfass, an dem sich jederzeit ein Atomkrieg zwischen den konkurrierenden Nuklearmächten Indien und Pakistan entzünden könnte.

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