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Aus: Ausgabe vom 19.06.2024, Seite 8 / Ausland
Repression

»Der zeitliche Zusammenhang ist frappierend«

Kurdischer Politiker wurde nach Schwedens NATO-Beitritt an Deutschland ausgeliefert. Ein Gespräch mit Anna Busl
Interview: Henning von Stoltzenberg
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Kundgebung in Stockholm (21.1.2022)

Am 12. Juni wurde Ihr Mandant Ferit Çelik von Schweden an die BRD ausgeliefert. Wie kam es dazu?

Ferit Çelik wurde im Februar, nach einem Termin in der Ausländerbehörde, in Schweden festgenommen. Dem zugrunde lag ein Europäischer Haftbefehl des Oberlandesgerichts Koblenz, wonach mein Mandant beschuldigt wird, jedenfalls in Darmstadt und Saarbrücken als sogenannter PKK-Gebietsleiter fungiert zu haben. Er wird also der Mitgliedschaft in einer »terroristischen« Vereinigung im Ausland, Paragraph 129 b StGB, beschuldigt.

Hätte der schwedische Staat eine Auslieferung nicht auch verweigern können? Immerhin ist der Betroffene dort als politischer Geflüchteter anerkannt.

Aus meiner Sicht – und auch aus Sicht der Strafverteidiger in Schweden – hätte die Auslieferung durch Schweden versagt werden können und müssen, denn: Eine Verfolgung nach Paragraph 129 b StGB setzt in der BRD voraus, dass das Bundesjustizministerium eine Verfolgungsermächtigung erteilt – eine Entscheidung, die weder begründet werden muss, noch überprüfbar sein soll. Es ist zudem nach hiesiger Rechtsprechung irrelevant, ob die als »terroristisch« gebrandmarkte Organisation Gewalt gegen ein (Unrechts-)Regime ausübt oder in einen bewaffneten Konflikt im Sinne des Völkerrechts verwickelt ist. Der Anwendungsbereich der Paragraphen 129 a und 129 b StGB ist so weit gefasst, dass jedes legale, sogar verfassungsrechtlich geschützte Verhalten als Mitgliedschaft gilt und strafbar ist, wie zum Beispiel das Organisieren von Demonstrationen. Und damit sind wir beim Kern der Sache: Herr Çelik wird als politischer Flüchtling anerkannt, weil er in der Türkei als »Terrorist« verfolgt wird und der schützende Staat, hier Schweden, davon ausgeht: Das ist politische Verfolgung, in der Türkei wurde Herr Çelik als »politischer Feind« mit Mitteln des Rechts verfolgt. Und nun wird dieselbe Person auch hier strafrechtlich verfolgt, weil sie ein »Terrorist« sein soll, wenn sie sich für die kurdische Sache einsetzt. Denn was wird Herrn Çelik konkret vorgeworfen? Laut Haftbefehl zum Beispiel die Mitorganisation des sogenannten langen Marschs, einer Demonstration für die Freilassung von Abdullah Öcalan, oder einer Kundgebung gegen das drohende Verbot der HDP in der Türkei und gegen den Austritt der Türkei aus der Istanbul-Konvention, also das Ausüben demokratischer Rechte. Und das soll strafbar sein?

Die deutschen Behörden haben zugesagt, Ihren Mandanten nach dem Gerichtsverfahren für die Haftstrafe wieder an Schweden zu überstellen. In Hamburg findet gleichzeitig ein ähnliches Verfahren gegen den kurdischen Politiker Kenan Ayaz statt, der aus Zypern zu gleichen Konditionen ausgeliefert wurde. Ist dies eine neue Methode der deutschen Strafverfolgung gegen kurdische Oppositionelle?

Fakt ist: In der letzten Zeit werden vermehrt Auslieferungsgesuche beziehungsweise internationale Haftbefehle durch die deutschen Behörden ausgestellt – es betrifft nun in kürzerer Zeit bereits fünf Personen, aus Frankreich, aus Zypern, den Niederlanden, aus Schweden. Aus meiner Sicht ist das nichts anderes als ein deutsches Gebaren gegenüber anderen EU-Staaten à la »was ihr (noch) nicht ›ordentlich‹ genug macht, machen wir«.

Der Haftbefehl wurde nach Informationen des Rechtshilfevereins Azadi bereits am 1. August 2022 vom OLG Koblenz erlassen. Warum wurde er jetzt erst vollstreckt?

Leider habe ich keine Glaskugel. Als ich bei der Generalstaatsanwaltschaft Koblenz nach den Ursachen für diesen zeitlichen Verlauf fragte, erntete ich nur ein Schulterzucken. Also bleibt nur, folgende Fakten festzustellen: Der Haftbefehl ist aus 2022. Vollstreckt wird er 2024. Übrigens nach einem Termin, zu dem Herr Çelik völlig freiwillig erschien. In der Zwischenzeit wurde Schweden NATO-Mitglied, und wurde dies unter anderem nur, weil es seine bis dato »liberalen« – richtig wäre: demokratischeren – Antiterrorismus-Strafgesetze und seine »Laisser faire«-Haltung gegenüber Menschen, die als politisch Geflüchtete anerkannt wurden, drastisch veränderte. Der zeitliche Zusammenhang mit der NATO-Mitgliedschaft und der Aufgabe der Opposition der Türkei dagegen ist in jedem Fall frappierend.

Anna Busl ist Rechtsanwältin des kurdischen Politikers Ferit Çelik

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