75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Gegründet 1947 Sa. / So., 29. / 30. Juni 2024, Nr. 149
Die junge Welt wird von 2819 GenossInnen herausgegeben
75 Ausgaben junge Welt für 75 € 75 Ausgaben junge Welt für 75 €
75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Aus: Ausgabe vom 18.06.2024, Seite 15 / Natur & Wissenschaft
Künstliche Intelligenz

Monopolbildung durch KI

Technologien mit künstlicher Intelligenz pushen die Produktivität. Zum Nachteil kleinerer Unternehmen
Von Sebastian Edinger
15.jpg
Der neue Angestellte: Schläft nicht, isst nicht, streikt nicht

Die technologischen Entwicklungsdynamiken auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz (KI) sind seit Monaten atemberaubend. Insbesondere bei der sogenannten generativen KI vergeht seit dem Launch von Chat-GPT Ende 2022 kaum ein Tag, an dem nicht irgendeine neue Anwendung veröffentlicht und gehypt wird. Dabei geht es zumeist um Tools zur Text-, Bild- oder Videoerstellung oder -manipulation. Daher konzentriert sich die kritische Debatte auf Themen wie Desinformation oder Diskriminierung, weniger auf die Anwendungen von KI in der Industrie.

Dem Digitalverband Bitkom zufolge gehen 78 Prozent der deutschen Industrieunternehmen davon aus, dass KI entscheidend für ihre Wettbewerbsfähigkeit sein wird. 82 Prozent der befragten Firmen gaben an, dass die deutsche Industrie auf diesem Gebiet eine Vorreiterrolle übernehmen sollte. Zumindest auf der Ebene der Entwicklung von KI-Modellen allerdings ist das mit Rücksicht auf den kaum noch einzuholenden Vorsprung Chinas und der USA unrealistisch. Dort sitzen die großen Digitalkonzerne, dort liegen die großen Datenschätze, dort gibt es die Rechenpower. Fast 90 Prozent der bislang entwickelten Sprachmodelle kommen von dort.

Bei der digitalen Infrastruktur scheinen enorme internationale Abhängigkeiten somit unvermeidbar. Entsprechend verhielt es sich auch vor KI schon, als große Plattformen die Digitalwirtschaft dominierten: Ein deutsches Facebook ist ebensowenig entstanden wie ein französisches Amazon. Die einzigen Wettbewerber für diese US-Plattformen heißen Tik Tok und Temu, sie kommen aus China. Ebenso war und ist es für die meisten Unternehmen undenkbar, ohne die Office-Anwendungen und Clouddienste von Microsoft oder Apple auszukommen. Die Abhängigkeit von US-amerikanischer Digitalinfrastruktur scheint also nichts Neues.

Gemessen daran haben EU-Länder, und speziell die BRD, bei der KI-Forschung wie auch bei der Entwicklung spezifischer Anwendungen auf Basis der großen Modelle kein schlechtes Standing. Ein Drittel hiesiger KI-Gründungen findet im universitäts- und forschungsnahen Umfeld statt, und die einheimische Startup-Szene bringt brauchbare Tools auf den Markt. Ein weiterer Standortvorteil ist die trotz arger Verluste, bedingt durch Ukraine-Krieg und Energiekrise, immer noch starke industrielle Basis.

Schließlich sind die gegebenen Anwendungsmöglichkeiten für produzierende Unternehmen vielfältig. Sie reichen von der Prozess- und Logistikdatenanalyse über die Qualitätssicherung, das Energiemanagement, vorausschauende Wartung und Maschinensteuerung bis hin zur Einführung neuer, datenbasierter Geschäftsmodelle. Auch im Bereich Kundenkontakt hält die Technologie der Kapitalseite vermittels der Möglichkeit, Beschäftigte durch Chatbots zu ersetzen, einige Renditeversprechen bereit. Und doch gibt sich die deutsche Industrie im großen und ganzen zurückhaltend. Der hohen perspektivischen Bedeutung zum Trotz, die hiesige Unternehmen der Technologie beimessen, sagen in derselben Befragung 53 Prozent aus, erst mal abwarten zu wollen, welche Erfahrungen andere machen.

Das trifft vor allem auf kleinere und mittelständische Unternehmen zu. Nach Angaben des Netzwerks »Mittelstand Digital« haben bislang nur 15 Prozent von ihnen KI-Anwendungen eingeführt. Kein Wunder, denn auch wenn der Schritt langfristig Vorteile verspricht, der Aufwand am Anfang wäre enorm. Der meistgenannte Grund für die Zurückhaltung liegt laut Bitkom mit 48 Prozent beim fehlendem Know-how. IT-Fachkräfte für den KI-Bereich sind immer noch selten und teuer. Auch eine Rechtsabteilung, die den regulatorischen Dschungel der EU durchdringen und sicherstellen kann, dass keine existenzbedrohenden Sanktionen für Regelverstöße drohen, kann sich nicht jeder leisten. Das gleiche gilt für die notwendige Datengrundlage sowie die umfassenden individuellen Anpassungen, die viele Anwendungen erfordern.

Kurzum, für die großen Konzerne ist es deutlich einfacher, im Wissen um die künftigen Renditen und Wettbewerbsvorteile kurzfristig jene Ressourcen zu mobilisieren, die die KI-Einführung erfordert. Mercedes-Benz hat im vergangenen Jahr laut eigenen Angaben 600 Beschäftigte zu KI-Experten weitergebildet, VW hat sein eigenes »AI Lab« gegründet. Siemens will zur Techfirma werden und sieht KI als zentrales Verbindungsstück, der Chemiekonzern BASF steckt Unsummen in die KI-basierte Optimierung von Planungs- und Steuerungsaufgaben und Thyssen-Krupp bereitet den Einsatz der Technologie in mehreren Unternehmensbereichen vor. Diese Möglichkeiten haben kleinere Wettbewerber nicht. Dadurch verlieren sie mittelfristig an Wettbewerbsfähigkeit und werden entweder vom Markt gedrängt oder geschluckt. So verschärft der digitale Wandel die ohnehin bestehenden Tendenzen zur Monopolstruktur.

Auch die Digitalpolitik von Bundesregierung und EU stärkt diesen Trend. Denn in Berlin und Brüssel geht es vor allem darum, eigene Champions aufzubauen, die es auf globaler Ebene mit Big Tech aufnehmen können. So lässt sich etwa beim AI Act der EU anhand der gewählten Grenzwerte für »besonders leistungsfähige Modelle« – die besonders streng reguliert werden – und der bevorzugten Behandlung von Open-Source-Modellen erkennen, dass es auch darum geht, den beiden einheimischen Entwicklern großer Sprachmodelle (Aleph Alpha und Mistral AI) auf dem Heimatmarkt die US-Wettbewerber vom Hals zu halten. Zugleich sind die Vorschriften derart komplex, dass kleinere Firmen ohne Fachabteilungen kaum erkennen können, was für ihre Anwendungen nun eigentlich gilt.

Natürlich werden die Einführungskosten mit der Zeit sinken, wenn sich bestimmte Anwendungen erst mal am Markt durchgesetzt haben. Auch die Herstellung von Rechtssicherheit wird einfacher, wenn es Erfahrungen und Routinen im Umgang mit den neuen Vorschriften gibt. Auszufechten ist derweil auch noch die Rolle der Beschäftigten bei der Einführung von KI im Betrieb. Die Wettbewerbsvorteile, die die Kapitalseite sich verspricht, erklären sich schließlich im Kern durch Produktivitätszuwächse. Extrarenditen werden dann vor allem durch Einsparungen beim Personal erzielt.

Nicht umsonst fordert der Deutsche Gewerkschaftsbund Mitbestimmung von Belegschaften bei der KI-Einführung. Der AI Act setzt zwar dem Einsatz der Technologie bei Personalplanung, Festlegung von Arbeitsbedingungen, Lohnerrechnung und Leistungsüberwachung Grenzen. Doch enthält die Verordnung keine rechtlich verbrieften Möglichkeiten für Beschäftigte, sich gegen die Einführung von KI-Tools zu wehren, die menschliche Arbeit ersetzen oder verdichten sollen. Die zunächst positive Stimmung gegenüber KI, von der man sich Entlastung in der Arbeitsroutine versprach, ist in vielen Belegschaften längst gekippt.

Großes Kino für kleines Geld!

75 Augaben für 75 €

Leider lässt die Politik das große Kino vermissen. Anders die junge Welt! Wir liefern werktäglich aktuelle Berichterstattung und dazu tiefgründige Analysen und Hintergrundberichte. Und das zum kleinen Preis: 75 Ausgaben der gedruckten Tageszeitung junge Welt erhalten Sie mit unserem Aktionsabo für nur 75 €!

Nach ablauf endet das Abo automatisch, Sie müssen es also nicht abbestellen!

Ähnliche:

  • Protest gegen die konzernfreundliche Politik von EU-Kommissionsp...
    17.05.2024

    Union für Konzerninteressen

    Bericht von Lobby Control: Konzerne geben mehr aus und beeinflussen EU-Politik erfolgreich. Bürger haben das Nachsehen
  • Eine chinesische Flagge an einem Gebäude in Belgrad vor dem Besu...
    08.05.2024

    Xi erinnert an Bombenopfer

    Besuch in Belgrad zum 25. Jahrestag des NATO-Angriffs auf Chinas Botschaft

Regio:

Mehr aus: Natur & Wissenschaft