Antifaschistin ins EU-Parlament
Von Lou BrennerIlaria Salis ist frei: Nach ihrer Entlassung aus dem Hausarrest in Budapest Ende vergangener Woche ist die Antifaschistin in ihre Heimatstadt Monza in Norditalien zurückgekehrt. Am Sonnabend postete die 40jährige auf Instagram ein Foto von sich vor dem Ortseingangsschild von Monza. Die Aktivistin nahm Anfang Juni an der EU-Wahl teil und wird künftig für das linksgrüne Parteienbündnis Alleanza Verdi e Sinistra im Parlament in Strasbourg sitzen. Die ungarische Justiz wirft ihr vor, zum faschistischen Aufmarsch »Tag der Ehre« im Februar 2023 mehrere Neonazis angegriffen und verletzt zu haben. »Versuchte lebensgefährliche Körperverletzung« in drei Fällen hieß der Vorwurf, wofür der Lehrerin elf Jahre Gefängnis drohten. Durch ihren erfolgreichen Weg in die europäische Politik genieße die in Italien zu einer gewissen Popularität gelangte Antifaschistin Immunität, hatte ihr Anwalt Eugenio Losco erfolgreich argumentiert. Dagegen versucht das Budapester Stadtgericht jedoch vorzugehen: Es gab am Freitag bekannt, beim Präsidium des EU-Parlaments die Aufhebung der Immunität beantragen zu wollen.
»Ein Alptraum ist vorbei«, zitierte AP Salis’ Vater Roberto, der sie mit dem Auto aus Budapest abholte. Er betonte, dass die Anschuldigungen gegen seine Tochter nun ausgeräumt werden müssten. Zum Prozessbeginn im Januar kursierten Fotos der Lehrerin, die, von einer Justizbeamtin gefesselt, an einer Kette durch den Budapester Gerichtssaal geführt wurde. »Wie ein Hund wurde sie geschleift«, klagte Salis’ Anwalt Eugenio Losco damals an, der auch erwogen hatte, aufgrund der Behandlung seiner Mandantin durch die ungarische Justiz den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anzurufen. Das Anwaltsteam warf Ungarn vor, gegen Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention zu verstoßen, der Personen vor unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe schützt. Demnach sei Salis’ Zelle mit Ratten und Insekten verseucht gewesen, tagelang sei ihr das Waschen verboten worden. Über Wochen verbrachte sie 23 Stunden täglich in Einzelhaft und hatte über ein halbes Jahr keinen Kontakt zu Angehörigen.
Salis’ Behandlung durch die ungarische Justiz löste erhebliche diplomatische Spannungen zwischen den beiden von extrem Rechten geführten Ländern aus. Es gab Telefonate auf höchster Ebene zwischen Giorgia Meloni und Viktor Orbán. Italiens Außenminister und Parteichef der rechten Forza Italia, Antonio Tajani, bestellte den ungarischen Botschafter in Rom ein und kritisierte die »erniedrigenden und demütigenden« Bedingungen, unter denen Salis festgehalten wurde; diesmal seien die ungarischen Behörden »zu weit gegangen«.
Salis erfuhr daraufhin große Solidarität in weiten Teilen der italienischen Linken und wurde im April zur Spitzenkandidatin der linksgrünen Allianz für den Wahlbezirk Nordwestitalien aufgestellt, die die Aktivistin so aus der Gefangenschaft befreien wollte. Ihre Unterschrift unter die Wahldokumente leistete Salis noch im Gefängnis, berichtete die konservative Tageszeitung Il Foglio damals. Einen Monat später entschied das Budapester Berufungsgericht, dass die Inhaftierte für eine Kaution von umgerechnet 41.000 Euro aus der Untersuchungshaft in den Hausarrest entlassen werden könne. Dies solle »durch eine elektronische Fußfessel überwacht werden«, schrieb ND – Der Tag Ende Mai. Das im Juli 2022 gegründete links-grüne Parteienbündnis landete hinter den rechten Parteien Lega und Forza Italia auf Platz sechs und zog mit sechs Abgeordneten ins EU-Parlament ein. Dort wollten sie »gegen Diskriminierung, Ungleichheit, Ausbeutung, Patriarchat und Krieg kämpfen« und sich »für eine radikale Veränderung der materiellen Lebensbedingungen der Menschen« sowie »für die Rechte der Arbeiter und der prekär Beschäftigten« einsetzen.
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