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Aus: Ausgabe vom 21.06.2024, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Onlineüberwachung

Chatkontrolle auf Eis

Vorstoß für staatliche Überwachung von Onlinekommunikation gescheitert – Projekt aber nicht
Von Sebastian Edinger
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Die massenhafte Überwachung der Chatkommunikation ist nach Abstimmung – zunächst – vom Tisch

Die Versuche der belgischen Ratspräsidentschaft, auf der Zielgeraden ihrer Amtszeit unter den Regierungen der EU-Mitgliedstaaten doch noch eine Mehrheit für die systematische Durchsuchung der Social-Media-Konversationen der Bürger zu organisieren, sind am Donnerstag gescheitert. Der Vorsitz hatte zur sogenannten Chatkontrolle einen neuen Kompromissvorschlag vorgelegt und damit Frankreich auf seine Seite gezogen. Die Blockade hielt dennoch stand, auch die Vertreter der BRD lehnten das Vorhaben ab.

Offiziell geht es bei dem ursprünglich von der EU-Kommission vorgeschlagenen Gesetzesvorhaben darum, Kinder und Jugendliche im Internet besser zu schützen. Hierzu sollten Anbieter von Social-Media-Diensten wie Facebook und Tik Tok, oder von Messengern wie Whats-App, Signal und Telegram, verpflichtet werden, mit Hilfe einer spezifischen Software private Nachrichten auf Darstellungen sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche zu durchsuchen.

Die Kritik war von Anfang an laut, insbesondere weil mit dem Gesetz für die Behörden der EU und ihrer Mitgliedstaaten die technischen und rechtlichen Voraussetzungen geschaffen würden, die Kommunikation ihrer Bürger massenhaft und anlasslos zu überwachen – auch im Zusammenhang mit ganz anderen Themen. Befürchtet wurde auch ein staatlicher Angriff gegen Verschlüsselungen, die online übermittelte Inhalte vor dem Zugriff Dritter schützen sollen.

Um das schon totgeglaubte Vorhaben wiederzubeleben, hatte die belgische Ratspräsidentschaft zuletzt einige Zugeständnisse gemacht, etwa in Form einer »Upload-Moderation«, der zufolge Nutzer gefragt werden sollen, ob sie mit der Kontrolle hochgeladener Bilder und Videos einverstanden sind. Lehnen sie ab, können sie die Dienste zwar nutzen, aber eben keine Bilder und Videos mehr posten – was vielen Anwendungen den Nutzen nimmt. Bei erfolgter Zustimmung hingegen sollte das Material beim Upload auf Missbrauchsdarstellungen durchstöbert werden. Die ursprünglich ebenfalls vorgesehene Durchsuchung von reinen Textnachrichten sollte entfallen.

Die Kritiker aus der Zivilgesellschaft konnten dadurch jedoch nicht besänftigt werden. »Von Freiwilligkeit kann hier keine Rede sein«, kommentierte etwa Linus Neumann, Sprecher des Chaos Computer Clubs, mit Blick auf die erforderliche Zustimmung der Nutzer. Denn eine Ablehnung komme nicht ohne Strafe: »Wer nicht zustimmt, darf überhaupt keine Bilder und Videos mehr versenden – eine starke Einschränkung des Dienstes.« Falsch sei außerdem die Behauptung, mit der neuen Fassung finde kein Angriff mehr auf die Verschlüsselung digitaler Inhalte statt: »Die eigentliche Übertragung bleibt verschlüsselt und die Untersuchung aller Inhalte findet unabhängig von der Verschlüsselung direkt auf den Geräten statt. Das Ergebnis ist selbstverständlich das gleiche.«

Seitens der deutschen Bundesregierung hatte im Vorfeld der Abstimmung Justizminister Marco Buschmann (FDP) deutlich gemacht, dass die BRD dem Vorhaben nicht zustimmen wird. Die Chatkontrolle sei »mit einem liberalen Rechtsstaat nicht vereinbar«, schrieb er auf der Plattform X. Das entspricht auch dem Koalitionsvertrag der Ampelregierung. Das SPD-geführte Innenministerium versucht jedoch regelmäßig, diese Festlegung aufzuweichen. Zuletzt hatte allerdings auch Ressortleiterin Nancy Faeser (SPD) erklärt, man sei gegen die Chatkontrolle.

Endgültig vom Tisch ist das Thema durch das Scheitern des belgischen Vorstoßes jedoch noch nicht. Im Juli übernimmt mit Ungarn ein EU-Staat den Ratsvorsitz, dessen Regierung zu den leidenschaftlichsten Befürwortern der Massenüberwachung gehört. Neue Vorstöße sind wahrscheinlich. Das EU-Parlament hatte sich bereits im vergangenen November positioniert. Zwar forderten die Abgeordneten zahlreiche Nachbesserungen gegenüber dem ursprünglichen Vorschlag der Kommission. Eine gänzliche Ablehnung gab es jedoch nicht – und die Parlamentsmehrheit rückt nach den jüngsten EU-Wahlen nach rechts.

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