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Aus: Ausgabe vom 21.06.2024, Seite 10 / Feuilleton
Jazz

Traumhafte Träume

Kamasi Washingtons wundervolles Jazzalbum »Fearless Movement«
Von Thomas Salter
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Virtuose mit Sinn für Kollaborationen: Kamasi Washington

Willkommen zurück in den Träumen Kamasi Washingtons. Ob sich der US-amerikanische Jazzsaxophonist bei seinem neuen Album »Fearless Movement« – wie noch bei seinem Triplealbum »The Epic« aus dem Jahr 2015 – von nächtlichen Ausflügen ins Unterbewusstsein inspirieren ließ, ist nicht bekannt. Ist auch nicht so wichtig. In ihrer Beschaffenheit sind die zwölf neuen Songs so traumhaft wie traumartig.

Washingtons Afrofuturismus wurzelt, obgleich modern anmutend, tief in der Vergangenheit. Die klassische Jazz­stimme von Sängerin Patrice Quinn könnte aus den 40ern sein, würde sie nicht immer wieder mit Talkbox und Autotune verwoben. Herbie Hancocks futuristisches Fusion-Meisterwerk »Head Hunters« (1973) wird beliehen, gealterte Futuristen wie P-Funk-Legende George Clinton im Song »Get Lit«.

Auf »Fearless Movement« verwandeln sich vertraute musikalische Formen nahtlos in wilde Klanggebilde, konservative Elemente des Jazz zerfallen zu eigenwilligen Lärmkulissen, grooven sich wieder auf gewohnte Fusionbeats ein, um erneut unerwartete Elemente auftauchen zu lassen. »Asha the First« etwa beginnt mit Fusionfunk und einem opulenten Chor mit Westernästhetik, wird dann von einem atemberaubenden effektbeladenen E-Bass-Solo von Thundercat dominiert, um schließlich den rappenden Zwillingen Taj und Ras Austin reichlich Raum zur skillsatten Ausschweifung zu geben: Zeilensprünge, Doubletime, interne Reime in hohem Tempo, alles da.

Fans von Miles Davis werden hier vielleicht an die eher peinlichen Versuche des Großmeisters denken, Sprechgesang in das Album »Doo-Bop« (1992) einzubauen. Bei »Fearless Movement« ist das anders, die Synthese dieser so einflussreichen afroamerikanischen Genres gelingt. Kein Wunder.

Washington hat reichlich Erfahrung mit Hip-Hop-Kollaborationen, ist u. a. auf Kendrick Lamars Meisterwerk »How to Pimp a Butterfly« (2015) zu hören. Auf »Fearless Movement« hat er abermals zwei der wichtigsten Genreblender an Bord: Neben Thundercat, der auf seinen Soloplatten seit Jahren Jazz mit Rap mixt, den Beatproduzenten und Saxophonisten Terrace Martin, der wie kaum jemand sonst die Jazztradition Comptons mit dem Gangsterrap des berühmten Vorortes von Los Angeles verbindet.

Die Liste der aktuell Mitträumenden ist lang, Washington liebt es big – zu hören sind zwei Schlagzeuger, Perkussion, E-Bass, Kontrabass, Trompete, Posaune, Synthesizer, Klavier, Streicher, zwei Sänger und ein Kirchenchor. Mit erwähntem Thundercat (E-Bass) und dessen Bruder Ronald Bruner Jr. (Drums) sind Kindheitsfreunde an Bord, Tontechniker und Schlagzeuger Tony Austin und der Kontra­bassist ­Miles Mosley nicht zu vergessen. Sie alle sind Mitglieder des »West Coast Get Down«, einer riesigen Truppe an L.-A.-Profimusikern, die unter der Führung von Mosley – Kontrabassist, Sänger, Excel-Tabellen-Virtuose – ein flexibles Kollektiv bilden, um tourende Pop- und Rapmusiker zu begleiten. Wen man in dieser Traumbesetzung eher nicht erwarten würde, ist André 3000 von Atlantas Rappionieren Outkast, der auf »Dream State« mit seiner Flöte ein wunderbares Arrangement performt, auf dem Kamasi gewohnt souverän improvisiert.

die Virtuosität Washingtons am Saxophon, die trotz der beinahe schon irren Wandelbarkeit der Platte die verschiedenen Elemente souverän verbindet. Rasant feuert er Arpeggien und Skalen ab, schnörkelt lyrische, mitunter fast schon schmalzige Popmelodien, schraubt sein Spiel mit brachialen, überblasenen Eintonphrasen über 32 Takte langsam in die Höhe. Traumhafte Träume sind das.

Kamasi Washington: »Fearless Movement« (XL/Beggars Group/Indigo)

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