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Aus: Ausgabe vom 21.06.2024, Seite 14 / Medien
»Hatespeech«-Gesetz in Irland

Hassrede und Meinungsfreiheit

Irland: Gesetzentwurf gegen »Hatespeech« in sozialen Medien wird von rechten Einpeitschern aus den USA attackiert
Von Dieter Reinisch
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Nicht »ihre« Gewalt: Die rassistischen Ausschreitungen in Dublin wurden per Social Media aus den USA befeuert

Im Herbst kam es in der irischen Hauptstadt Dublin zu schweren Ausschreitungen. Mehrere Schulkinder waren niedergestochen worden. Später zeigte sich, dass rechte Social-Media-User aus den USA die Meldung verbreitet hatten, es hätte sich beim Attentäter um einen Asylsuchenden aus Nordafrika gehandelt. Binnen weniger Stunden versammelten sich Hunderte zu ausländerfeindlichen Protesten. Tagelang kam es zu gewaltsamen Ausschreitungen, wobei auch Busse und Straßenbahnen in Brand gesetzt wurden.

Um derartigen Agitationen rechter Kanäle in den sozialen Medien Einhalt zu gebieten, plant die irische konservativ-grüne Regierung ein Gesetz zur Einschränkung von Hassrede (engl. Hatespeech). Doch der Entwurf dümpelt seit zwei Jahren im Parlament herum, obwohl zunächst die meisten Parteien ihm zugestimmt hatten.

Starke Kritik kam aus dem Ausland, vor allem den USA: Der rechte Sender Fox News widmete mehrere Sendungen dem »Ende der Meinungsfreiheit« in Irland. Immer wieder traten Blogger und Kommentatoren über Alternativmedien der Alt-Right-Szene in den USA an die Öffentlichkeit und beklagten das neue Gesetz. Milliardär Elon Musk sah sein X in Gefahr und kritisierte Irland für die Vorlage. Das konservative Magazin Newsweek bezeichnete den Gesetzentwurf im Dezember als »Orwellianisch«.

Im Gegensatz zum Aufschrei in den USA ist die Medien- und Verlagswelt in Irland wenig erregt. Selbst die aktivistische und bei jedem Anschein der Einschränkung journalistischer Freiheiten lautstark protestierende Journalistengewerkschaft NUJ äußerte sich bislang nicht zum geplanten Gesetz. Befürworter wie die grüne Senatorin Pauline O’Reilly argumentieren, das Gesetz schränke »lediglich die Freiheit, andere mit Hass zu überschütten«, ein. Dadurch würden insbesondere Minderheiten mehr Freiheiten erlangen. Eine Interpretation, die von vielen Kollegen geteilt wird. Das geht aus Editorials großer Zeitungen wie Irish Times, Irish Independent oder TheJournal.ie hervor.

Die Irish Independent argumentierte in einem Beitrag zum Gesetz, damit würde lediglich die derzeitige Definition und Rechtsgrundlage von Hass aus der Zeit vor der Allgegenwart des Internets an »die Bedürfnisse des digitalen Zeitalters angepasst«. Negative Auswirkungen auf die Arbeit von Journalisten seien nicht zu erwarten.

Der Entwurf soll bestehende Gesetze gegen Hassrede ergänzen und die Rechtsdefinition von Hass im Strafrechtssystem stärken. Staatsanwälte sollen bei Verbrechen gegen schutzbedürftige Einzelpersonen oder Gemeinschaften stärker berücksichtigen, ob diese durch Hass motiviert waren. Im Unterschied zur herrschenden Rechtslage aus dem Jahr 1989 sollen auch Hasskommentare in sozialen Medien oder auf anderen digitalen Medienplattformen strafbar sein, bei denen die Intention, Hass zu schüren, nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden kann.

Der Gesetzentwurf wird derzeit in dritter Lesung vom Senat, der zweiten Kammer des Parlaments, debattiert. Dadurch hatte die öffentliche Debatte wieder Fahrt aufgenommen. Und wieder werden die Gegner von rechten Einpeitschern aus den USA angetrieben. Medienportale wie die extrem rechte Plattform Gript.ie warnen abermals vor dem »Ende der Meinungsfreiheit«.

Auch christlich-fundamentalistische Medienportale veröffentlichen regelmäßig Umfragen, nach denen ein signifikanter Teil der Bevölkerung das Ende der Meinungsfreiheit befürchtet. Die Datengrundlage wird dabei in aller Regel nicht klar ausgewiesen. Aussagekräftige Umfragen gibt es hingegen keine, was der irischen Rechten in die Hände spielt. Sie kann so über die sozialen Medien Teile der Bevölkerung gegen die Initiative aufbringen und die Parlamentsparteien vor sich hertreiben.

Nachdem die republikanische Oppositionspartei Sinn Féin (SF) im April 2023 noch für den Gesetzentwurf stimmte, kündigte sie nun an, im Senat dagegen votieren zu wollen. Finanzsprecher Pearse Doherty sagte im öffentlich-rechtlichen RTÉ, es sei an der Zeit, die »Farce« des Gesetzentwurfs endlich zu beenden. Kritiker führen den Sinneswandel auf sinkende Umfragewerte der Partei zurück. Lange hatte SF eine migrationsfreundliche Politik verfolgt. Viele ihrer konservativen und ländlichen Wähler haben sich abgewandt und wählen rechte Kleinparteien. Im aktuellen Wahljahr möchte SF auf diese Weise offenbar verlorene Stimmen zurückholen.

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