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Aus: Ausgabe vom 22.06.2024, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Moderne Sklaverei

Tod eines Erntehelfers

Italien: Arm abgetrennt, Beine zerquetscht, aber Satnam Singh wurde vom Chef nicht ins Krankenhaus gebracht, weil er keine Papiere hatte
Von Alex Favalli
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»Leider kein Horrorfilm«: Hunderttausende Migranten ohne Papiere schuften in der italienischen Landwirtschaft

Satnam Singh starb am Mittwoch infolge eines »Arbeitsunfalls« in der Provinz Latina südöstlich von Rom. Der 31jährige Erntehelfer aus Indien war anderthalb Tage zuvor in eine Maschine geraten, mit der die Felder in der Region großflächig mit Plastik überzogen werden. Sein rechter Arm war abgetrennt, seine Beine waren zerquetscht worden. Der Chef des landwirtschaftlichen Betriebs, Antonello Lovato, hatte den Schwerverletzten daraufhin zu dessen Unterkunft geschafft und ihn dort am Straßenrand liegengelassen. Später wurde der Arm von Satnam Singh in einer der Obstkisten gefunden, die von den Erntehelfern in der Gegend vor allem mit Melonen und Zucchini gefüllt werden.

Singhs 24jährige Ehefrau Sony war bei dem Unfall zugegen. Sie habe den Chef »auf Knien angefleht«, ihren Mann ins Krankenhaus zu bringen, sagte sie der Polizei. »Aber er hat uns vor dem Haus abgesetzt und ist weggelaufen.« Nachbarn riefen schließlich Rettungskräfte, die den Schwerverletzten ins Krankenhaus San Camillo nach Rom brachten, wo er am Mittwoch starb.

Das Ehepaar war 2021 nach Italien gekommen und auf Schwarzarbeit angewiesen, während es auf Aufenthaltsgenehmigungen hoffte. Sie planten, ein Kind zu bekommen, verdingten sich beide als Erntehelfer.

Singhs Chef Lovato ließ sich am Mittwoch über einen »Fehler« aus, den sein Lohnsklave zu verantworten habe: »Ich hatte Satnam gewarnt, sich dem Fahrzeug nicht zu nähern, aber er hat sein eigenes Ding gemacht«, so Lovato gegenüber Rai News 24. »Es war leider reine Unachtsamkeit. Aber es war für alle teuer«, ergänzte sein Vater Renzo Lovato, der Besitzer des Betriebs, in der Nachrichtensendung »TG1«. Über den Zwang, illegal zu arbeiten, um zu überleben, verloren die Unternehmer kein Wort. Die Frage, warum er den Schwerverletzten nicht ins Krankenhaus gebracht habe, beantwortete der jüngere Landwirt schlicht damit, dass der indische Erntehelfer nicht als regulärer Angestellter registriert war.

Schätzungen zufolge sind rund 230.000 Migranten ohne Papiere in der italienischen Landwirtschaft beschäftigt. Gewerkschaften und lokale Menschenrechtsorganisationen sprechen von moderner Sklaverei. Die Stundenlöhne liegen zwischen drei und fünf Euro. Der Ertrag der Ernte landet zum größten Teil in deutschen Supermärkten.

Der 37jährige Antonello Lovato wird nun wegen fahrlässiger Körperverletzung, Fahrerflucht und wohl auch wegen fahrlässiger Tötung angeklagt. Die Staatsanwaltschaft Latina hat den Hof beschlagnahmt und eine Autopsie in Auftrag gegeben.

Nun ist die Empörung über die brutale Behandlung der rechtlosen Landarbeiter groß. »Es ist leider kein Horrorfilm. Es ist alles wahr«, sagte der Generalsekretär der Gewerkschaft FLAI, Hardeep Kaur. Der Vorsitzende der oppositionellen Fünf-Sterne-Bewegung, Giuseppe Conte, forderte am Donnerstag Premierministerin Giorgia Meloni auf, etwas gegen die Ausbeutung zu unternehmen: »Es klingt wie die Geschichte eines Sklaven vor Jahrhunderten. Wir können nicht die Augen verschließen, wir können nicht daran denken, Gewinne zu machen, während wir die Würde der Arbeit und die letzten Fetzen der Menschlichkeit auslöschen«, schrieb er auf X.

Auch die parteilose Arbeitsministerin Italiens, Marina Calderone, sprach von einem »Akt der Barbarei«. Landwirtschaftsminister Francesco Lollobrigida (Fratelli d’Italia) beließ es hingegen bei: »Wir sind mit einer Tragödie konfrontiert, die uns nicht gleichgültig lassen kann und vollständig aufgeklärt werden muss.«

Die Kosten der Beerdigung Singhs will der Staat übernehmen. Und künftig soll Schwarzarbeit auf den Feldern härter bestraft werden. Aber das sind wohl nur Ankündigungen. Am Freitag wurden die Abertausenden Erntehelfer auf den riesigen Feldern Italiens bei Temperaturen von 40 Grad unverändert ausgebeutet.

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