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Aus: Ausgabe vom 24.06.2024, Seite 11 / Feuilleton
Kunst

Hexenzirkel beim Kaffee

Das Berliner Bröhan-Museum deckt verborgene Details in den Bildern des sozialkritischen Realisten Hans Baluschek auf
Von Sabine Lueken
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Hans Baluschek: »Hier können Familien Kaffee kochen«, Öl auf Leinwand, 1895

»Proletariat, Elend, Verzweiflung, Krankheit, Destille, Schwoof«, schrieb 1926 Adolf Behne, einer der damals profiliertesten Kunstkritiker, in der Weltbühne über die Sujets der »Berliner Realisten«, zu denen auch Hans Baluschek zählte. Aber es steckt mehr in dessen Bildern. Das verdeutlicht die aktuelle Ausstellung im Berliner Bröhan-Museum, »Geheimcodes. Hans Baluscheks Malerei neu lesen«.

Die Ausstellung startet mit dem Bekannten: Baluschek, der »Eisenbahnmaler«. Der Vater war Eisenbahningenieur, beauftragt mit Großprojekten, das Sujet beschäftigte den Sohn ein Leben lang. Für seine malerische Darstellung nutzte er Eisenbahnmodelle, wie die Ausstellung zeigt. Seine letzten Eisenbahnen finden sich in einer Jubiläumsschrift von 1935, die er im Auftrag der »Deutschen Reichsbahn Gesellschaft« illustrierte.

1910 malte Baluschek ein Eisenwalzwerk, das stark an das von Menzel erinnert. Aber während bei Menzel die Arbeiter im Kampf mit dem Eisen ringen, erscheint bei Baluschek die Gefahr gebannt. Vier Männer reichen zur Bedienung der Maschinen. Zwei gegensätzliche Interpretationen seien möglich, so der Kurator der Ausstellung, Fabian Reifferscheidt. Ein Jahr vorher war die Fabrik modernisiert worden, die Arbeiter entlassen. Das Bild war eine Auftragsarbeit.

Baluschek wurde 1870 in Breslau geboren, als er sechs war, zog die Familie nach Berlin, lebte in verschiedenen Wohnungen im Gebiet der neu entstehenden Arbeiterquartiere zwischen Halleschem und Kottbusser Tor im heutigen Kreuzberg. Das Dienstmädchen nahm ihn häufig mit in die Hasenheide, in den Amüsierpark »Neue Welt«. »Nie habe ich mich bedrückter gefühlt als an jenen Sonntagen«, resümierte er 1920 in seinem Manifest »Im Kampf um meine Kunst« in der Zeitschrift Die Gartenlaube. Überall sah er »Elend und … Jammer« hinter den »Freuden des Sonntags« lauern.

Unter dem Titel »Hier können Familien Kaffee kochen« (1895) zeigt Baluschek nicht Familien, sondern sechs ältere Frauen um einen Tisch versammelt. Die zentrale Figur mit dem Kneifer auf der Nase rührt mit einem langen, goldenen Löffel in einer der drei riesigen Kaffeekannen. Reifferscheidt deutet das Bild als ironische Darstellung eines okkulten Hexenzirkels. Sowieso ist kein Detail auf Baluscheks Bildern zufällig, wie ein weiteres symbolträchtiges Bild namens »Heimkehr« (1899) zeigt, auf dem ein knallblauer Blumenstrauß ins Auge sticht. Hier handele es sich nicht um die »Blaue Blume der Romantik«, sondern um Kornblumen als deutsch-nationalistisches Erkennungszeichen der Alldeutschen.

Baluschek, der monarchistisch gesonnene Patriot, meldete sich 1916 zum Kriegsdienst. In der Ausstellung sind seine Illustrationen zu patriotischen Schriften und eine romantisch-deutschtümelnde Postkartenserie »Volkslieder in Bildern« zu sehen, die »Wohlfahrtskarten der Deutschen Kolonial-Kriegerspende« dienten als finanzielle Unterstützung für Kriegsopfer. Sein berühmtes Bild »Rummelplatz« (1914) hingegen kann man als prophetisch-subtile Kritik am Berliner Bürgertum deuten, das am Vorabend des Ersten Weltkriegs blind wie die Motten dem Licht, dem Vergnügen, zustrebt. Nur ein Proletarierjunge mit Schirmmütze und brennender Zigarette und ein Junge mit Strohhut kümmern sich nicht um das bunte Treiben.

1920 trat Baluschek in die SPD ein. Er wohnte in Berlin-Schöneberg, ab 1929 in einer Ehrenwohnung im Turm am Ende der Art-déco-Wohnanlage Ceciliengärten. 1933 zwangen ihn die Nazis auszuziehen, er legte alle seine Ämter nieder. 1933 und 1934 waren seine Arbeiten aber noch auf der »Großen Berliner Kunstausstellung« zu sehen.

Für seine Malerei entwickelte Baluschek eine eigene Technik, bei der er Ölkreide- und Buntstifte mit Aquarell und Gouache kombinierte. Dadurch entstanden farbige, mit einem Grauschleier versehene Bilder, so entsprachen sie für ihn der Berliner Atmosphäre. Daneben fällt eine merkwürdige Kulissenhaftigkeit vieler Bilder auf. Seine Menschen sind keine Individuen, sondern Typen. Viele Arbeiten wirken erstaunlich modern, erinnern an heutige Graphic ­Novels, auch durch radikale Anschnitte in der Bildkomposition.

Baluscheks spätes Hauptwerk »Großstadtlichter« (1931) wirkt zunächst wie ein Schnappschuss vom Schöneberger S-Bahnhof nahe seiner Wohnung. Aber auch hier kann man ein prophetisches Werk sehen. Die aus dem Bahnhof nach Hause Strebenden driften auseinander, links die mit Schirmmützen bekleideten Proletarier, rechts die Melonen tragenden Bürger. Der Titel spielt zudem direkt auf den Chaplin-Film »City Lights« an. Als der laut Kurt Tucholsky berühmteste Mann der Welt, eine »Galionsfigur der Linken«, 1931 nach Berlin kam, um seinen Film zu bewerben, wurde er von Nazis niedergeschrien und von Goebbels als »jüdischer Filmaugust« diffamiert.

»Sommerabend« (1928), ein Bild, auf dem sich auf einer Brachfläche hinter Mietskasernen Paare und kleine Gruppen von Menschen tummeln, wird als Darstellung der sieben Todsünden gedeutet. Endgültige Interpretationen strebt die sehr lohnende Ausstellung – wie Baluschek selbst – nicht an. Sie zeigt aber, dass seine Arbeiten mehr Tiefe haben, als es auf den ersten Blick scheint. »Ich bin eben Ich; meine Kunst könnte naturalistisch scheinen. Sie soll so wirken – das gebe ich zu – allerdings nur, um die Suggestion meiner Welt recht stark zu gestalten.«

»Geheimcodes. Hans Baluscheks Malerei neu lesen«, Bröhan-­Museum – Landesmuseum für Jugendstil, Art déco und Funktionalismus, Berlin, bis 1. September 2024

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  • Leserbrief von Gerd-Rolf Rosenberger aus Bremen (26. Juni 2024 um 11:56 Uhr)
    »Die Betrachtung des Bildes von Hans Baluschek, Öl auf Leinwand, 1895« ist alleine schon beeindruckend. Sein Lebenslauf, dass er anklagend das Leben des Proletariats darstellte, und seine Bilder haben vor allem die Menschen des Arbeiterstandes in Berlin zum Thema. Die Nazifaschisten bezeichneten ihn 1933 als marxistischen Künstler, brandmarkten seine Werke als »entartete Kunst«. In der DDR war seine Kunst sehr geachtet; er bekam ein Ehrengrab der Stadt Berlin. Mit den »Familien Kaffee kochen« strahlte bis Bremen-Vegesack aus. Seit Jahren putzen wir für die Jüdin Sophie Schwabe ihren Stolperstein. Ins Ghetto Theresienstadt deportiert, ermordeten die Faschisten Sophie am 14. März 1943. Fünf ihrer Familienangehörigen wurden in den Vernichtungslagern der Nazis umgebracht.
    Sophie Schwabe führte mit ihrem Mann August Schwabe 1931 in der Rohrstraße eine Gaststätte, die »Lloydhalle«, die bei den einfachen Menschen sehr beliebt war. Ein Schild vor der Gaststätte »Der alte Brauch wird nicht gebrochen, hier können Familien Kaffee kochen« trug dazu bei, dass viele Gäste die Gaststätte besuchten. Die Nazis zerstörten mit der Boykottaktion am 1. April 1933 die Lebensgrundlage von Sophie Schwabe. Wir werden nicht erfahren, ob die großherzige Sophie Schwabe, 1879 in Worpswede geboren, sich bewusst mit dem Schild vor der Gaststätte auf den Maler Hans Baluschek bezog!

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