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Aus: Ausgabe vom 25.06.2024, Seite 2 / Inland
Verfassungsschutzbericht

»Der Geheimdienst nimmt politische Einordnung vor«

Grundrechtekomitee fordert eine Neueinstufung von »Linksextremismus«. Ein Gespräch mit Michèle Winkler
Interview: Gitta Düperthal
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Alles »Linksextreme«: Der bewaffnete Arm der Staatsmacht räumt eine Blockade von Klimaschutzaktivisten der Gruppe »Ende Gelände«

Das Grundrechtekomitee befindet das Einstufen von »Ende Gelände« als »linksextremer Verdachtsfall« seitens des Verfassungsschutzes als einer Demokratie unwürdig. Welche Zuschreibungen, die der Inlandsgeheimdienst in seinem Bericht zum Jahr 2023 gegenüber dem Klimabündnis vornimmt, finden Sie problematisch?

Der Verfassungsschutz stuft das Bündnis als der Verfassungsfeindlichkeit verdächtig ein. Er stellt dessen Aktivitäten somit als unvereinbar mit dem Grundgesetz dar. »Ende Gelände« existiert seit etwa zehn Jahren, taucht aber erst neuerlich in Verfassungsschutzberichten auf. Die Bewegung setzt sich gegen die Klimakatastrophe ein, wendet sich gegen Verstromung fossiler Energieträger, kritisiert die kapitalistische Wirtschaftsform und tritt für einen »System Change« ein. Der Geheimdienst nimmt hier eine politische Einordnung vor. Dies ist nur das jüngste Beispiel dafür, welch destruktive Rolle diese Behörde in unserer Demokratie einnimmt: Über Ziele und Inhalte vom Geheimdienst benannter Organisationen soll nicht diskutiert werden. Es werden ganze Themenbereiche über eine Veränderung der Gesellschaft aus der öffentlichen Diskussion ausgegrenzt. Das dürfen wir nicht hinnehmen.

Der Verfassungsschutz begründet seinen Verdacht: Das Bündnis pflege Kontakte zu »Akteuren aus dem linksextremistischen Spektrum«. Sein bisheriges Themenspektrum habe es durch »andere, für gewaltorientierte Linksextremisten relevante Themen« erweitert. Was meinen Sie dazu?

Wir müssen grundlegend über die Einstufung des Linksextremismus reden. Der Verfassungsschutz operiert mit dem Extremismuskonzept, das linke und rechte Ränder des politischen Spektrums gleichsetzt. Dem Rechtsextremismus stellt er einen linken gegenüber. So kommt es zu folgender Ungleichheit: Einerseits geht es um Menschen, die auf andere physische Gewalt ausüben und eine reale Gefahr für die Gesellschaft und bestimmte Bevölkerungsteile darstellen. Andererseits werden Gruppen als gewalttätig eingestuft, die für Klimagerechtigkeit oder soziale Umgestaltung der Wirtschaftsordnung kämpfen. Verwendet wird dabei ein undifferenzierter Gewaltbegriff. Deshalb kritisieren wir die Einrichtung der Verfassungsschutzbehörden und die von ihnen genutzten Staatsschutzkonzepte insgesamt.

Welche Motivation könnte die Behörde haben, ihre Beobachtung ständig weiter nach links ausdehnen?

Aus unserer Sicht geht es darum, bestimmte Formen von Protest oder Dissens zu delegitimieren: Mit der Nennung etwa von »Defund the Police Dortmund« im aktuellen VS-Bericht von NRW wird versucht, der Kritik an staatlichen Gewaltinstitutionen – in dem Fall der Polizei – die Legitimation zu nehmen. Die Initiative dokumentiert Fälle von Diskriminierung und Gewalt durch die Polizei, unterstützt Betroffene und organisiert bildungspolitische Veranstaltungen. »Deutsche Wohnen & Co. enteignen« thematisiert das Zweckentfremden von Wohnraum als Spekulationsobjekte und fordert eine Vergesellschaftung von Wohneigentum. Solche sozialen Anliegen versuchen etwas am Status quo der Gesellschaft zu verändern, sie gerechter zu machen. Das steht dem Grundgesetz nicht entgegen, scheint dem sogenannten Verfassungsschutz aber zu missfallen.

Auch diese Zeitung dient dem Inlandsgeheimdienst als Beobachtungsobjekt des angeblichen Linksextremismus.

Dabei handelt es sich aus unserer Sicht zudem um einen Verstoß gegen die Pressefreiheit. Die Begründung, die Reichweite von junge Welt sei das Problem, ist absurd.

Sie fordern andere demokratische Gruppen auf, eigene Kritik an den Verfassungsschutzbehörden und ihren Befunden zu formulieren – weshalb?

Es geht uns um eine Solidarisierung. Wir wollen in den Berichten genannte Bündnisse vor den negativen Folgen bewahren, zum Beispiel, dass andere Organisationen nicht mehr mit ihnen kooperieren. Wir beobachten zudem, dass die ideologische Grundlage der Inlandsgeheimdienste, das Extremismuskonzept, zunehmend normalisiert wird. Wir müssen diskutieren, auf welcher Basis der Dienst tätig ist: Wollen wir etwa in einer Gesellschaft leben, in der eine undurchsichtige Behörde entscheidet, welche Proteste als legitim gelten?

Michèle Winkler ist ­politische Referentin des ­Komitees für Grundrechte und Demokratie e. V.

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