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Aus: Ausgabe vom 25.06.2024, Seite 11 / Feuilleton
Reise

Unter Birken

Nordischer Sommer
Von Bernhard Spring
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Angenehm unaufgeregt, aber nicht sehr dringlich: Proteste für Gaza in Lund (16.5.2024)

Nach Lund zog sich der Dramatiker August Strindberg zurück, als er eine depressive Phase samt Wahnvorstellungen und Realitätsverlust durchlebte. Hier kurierte er sich, indem er auf Papier seine Dämonen bannte.

Lund war damals das kulturelle Zentrum Schwedens, heute ist es aufgrund seiner traditionsreichen Universität ein Ort von Reichsinteresse, wie es im schwedischen Sprachgebrauch etwas angestaubt heißt, und genießt als solcher besondere Zuwendung vom Staat.

Die Stadt selbst ist eher unscheinbar und wäre wohl ohne die Studenten, die ein Drittel der Bevölkerung stellen, auch kaum einer Erwähnung wert. Man läuft über den Bahnhofsplatz zum nächsten Café, schaut sich den Dom an und den bunt gestalteten Park. Tja, ja … In einer guten Stunde ist alles besichtigt, inklusive andächtigem Staunen in der Allerheiligenkirche und einem zweiten Kaffee am Markt.

Wenn die Universität nicht wäre. Sie ist eine der ältesten ihrer Art in ganz Schweden und gilt als Hort der Moderne. Viele schlaue Köpfe, die Schweden vorangebracht haben, studierten zumindest ein paar Semester in Lund. Die Hochschule ist auf einem weitläufigen Campus angelegt mit allerhand alten, efeubewachsenen Gebäuden. Hinter jeder Ecke gibt das wellige Areal eine andere Sehenswürdigkeit preis. Sehr viel historische Aura, sehr viel von der griechischen Antike und dem Barock inspirierte Kunst. Hier hätte der »Club der toten Dichter« gedreht werden können. Oder die Harry-Potter-Filme. Kaum vorstellbar, dass zwischen all dieser historischen Pracht tatsächlich jetztzeitige Studenten lernen und hier und da der süßliche Duft von Gras in der Luft hängt.

Aber dann ist plötzlich alles doch hochaktuell. Vor dem historischen Hauptgebäude ist die Grünfläche mit Zelten und Bierzeltgarnituren bestellt. Ein Protestcamp anlässlich des Kriegs im Gazastreifen. Hier wehen die Fahnen von Palästina unter den Birken und informieren selbstgestaltete Plakate, dass mehrere zusammen stärker sind als ein einzelner.

Doch das Camp verliert sich nicht in Floskeln und Selbstzweck. Infostände, ein Kuchenbasar und eine Tauschbibliothek laden Besucher ein, sich näher mit den Campern zu beschäftigen. Der Austausch ist ungezwungen und findet bei einer Limonade statt. Wer nicht großartig debattieren will, sondern interessiert an Selbstgebackenem ist, ist auch willkommen. Angenehm unaufgeregt, aber nicht sehr dringlich, mehr wie ein Workshop.

Das erklärt vielleicht auch, weshalb das Camp geduldet wird. Die Aktivisten ziehen morgens die Reißverschlüsse ihrer Zelte zu und suchen die Seminarräume auf. Nachmittags büffeln sie in der Unibibliothek und hinterher plaudern sie halt über den Nahen Osten. Die Dramatik, die diesen Gesprächen innewohnt, unterbietet noch den Agatha-Christie-Band, der in der Tauschbibliothek ein tristes Dasein als Ladenhüter führt.

Das einzige Opfer des Protestcamps ist der Gärtner, der den Vorplatz nicht mehr mähen kann. Die Besucher ziehen etwas unschlüssig an den Zelten vorbei. Ist das noch politisch oder nur eine nach draußen verlegte Küchentischdebatte, die in diesen Tagen wohl jede Familie oder WG allabendlich durchlebt?

Hinter den Zelten endet der Campus, das verschlafene Lund mit seinen kleinen Boutiquen und Cafés lullt die Flaneure bis zum Bahnhof ein. Man fährt ab. Eine schöne Stadt, ja.

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