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Aus: Ausgabe vom 27.06.2024, Seite 15 / Betrieb & Gewerkschaft
Stahlindustrie

Tschechiens größtes Stahlwerk

Insolvenzverfahren gegen Liberty Ostrava eröffnet. Tausende Arbeiter seit Monaten ohne volle Löhne. Kredite vom Arbeitsamt sollen helfen
Von Dieter Reinisch
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Endgültig bankrott: das Liberty-Ostrava-Werk im April

Ostrava, die drittgrößte Stadt Tschechiens, liegt in einer industrialisierten Grenzregion: Zehn Kilometer sind es nach Polen, 50 Kilometer in die Slowakei. In Zeiten der Habsburgermonarchie war der Kohle- und Eisenbergbau in der Gegend ein Turbo für die wirtschaftliche Entwicklung Mitteleuropas. In der Tschechoslowakei wurde der Industriegürtel weiter ausgebaut. In Ostrava entstand das größte Stahlwerk Tschechiens. Nach 1989 kam der Niedergang, die Staatsbetriebe wurden verscherbelt. Die letzte Kohlegrube in Ostrava wurde 1994 geschlossen.

Nun ist das Stahlwerk Liberty Ostrava endgültig bankrott. Die indisch-britischen Eigentümer haben es heruntergewirtschaftet, tausende Arbeiter verlieren ihre Jobs. Ein Gericht in Ostrava erklärte das Werk, das dem GFG-Konzern des britisch-indischen Milliardärs Sanjeev Gupta gehört, am vergangenen Freitag für zahlungsunfähig. Das Unternehmen kann nach eigenen Angaben fällige Schulden in Höhe von mehr als fünf Milliarden tschechischen Kronen (200 Millionen Euro) nicht zurückzahlen.

Die Regierung in Prag erklärte, einen Käufer für das Stahlwerk finden zu wollen. Mit mehr als 5.100 Beschäftigten ist Liberty Ostrava eines der größten Unternehmen in der Region. GFG hatte das Werk 2019 von Arcelor-Mittal übernommen.

Die Insolvenz kam am Ende etwas schneller als erwartet. Der Antrag wurde am 12. Juni von Anwälten des Eigentümers beim Landgericht in Ostrava eingereicht, wie die Wirtschaftszeitung Hospodářské Noviny berichtete. Richter David Stošek wartete nicht bis zum Ende der 15tägigen Frist, in der er über den Antrag entscheiden musste. Nach neun Tagen leitete er den Prozess ein, der mit der Sanierung der Hütte oder deren Insolvenz enden wird. Zum Insolvenzverwalter wurde die Firma TP Insolvence bestimmt.

Weiter geschwunden sind damit die Hoffnungen vieler Arbeiter, fehlende Gehälter zumindest teilweise noch vom milliardenschweren indisch-britischen Konzern zu bekommen. Viele haben ihre Löhne seit dem Herbst nicht mehr in voller Höhe erhalten. Nun soll der Staat die Verarmung der Arbeiterfamilien wenigstens bremsen.

Am 18. Juni berichtete Radio Prague International (RPI), dass Arbeiter beim Mährisch-Schlesischen Landkreis (Moravskoslezský kraj) zinslose Darlehen beantragen können, um die Zeit der ausgesetzten Löhne zu überbrücken. Die Kredite sollen ab dieser Woche vom Arbeitsamt ausgezahlt werden, so Amtsleiter Daniel Krištof am Dienstag.

Die Gewerkschaften hatten das Angebot mit dem Arbeitsamt ausgehandelt, um Massenkündigungen zu verhindern. Ob es nach dem Insolvenzverfahren aber noch ein Stahlwerk in Ostrava geben wird, ist mehr als fraglich. Der Großteil der Beschäftigten ist seit Dezember zwangsweise zu Hause. Die Hochöfen stehen schon seit Oktober still. Inzwischen ist der Betrieb fast völlig zum Erliegen gekommen, Liberty beglich zuletzt auch keine Außenstände bei Energielieferanten mehr.

Im April hatte sich Liberty Ostrava noch mit seinen Gläubigern auf einen Umstrukturierungsplan geeinigt. Es dürfte sich dabei jedoch kaum um ernsthafte Pläne gehandelt haben, den Standort und die Arbeitsplätze zu erhalten.

Liberty Steel Group ist ein globaler Stahlkonzern mit mehr als 30.000 Mitarbeitern. Ungefähr 17.000 davon sind in Europa beschäftigt, an Standorten in Rumänien, Ungarn, Polen und Großbritannien. Noch, muss man sagen. Der Gruppe gehört nämlich auch das größte Stahlwerk Großbritanniens: Tata Steel in Port Talbot im Süden von Wales. Auch das soll geschlossen werden. Die Pläne wurden im Winter bekannt. Hier sind mehr als 2.000 Arbeitsplätze betroffen.

In Prag erklärte der tschechische Minister für Arbeit und Soziales, Marian Jurečka, Parteivorsitzender der Christdemokraten, zwei Investoren hätten »ernsthaftes Interesse an dem Stahlunternehmen gezeigt«. Wie viele der 5.100 Mitarbeiter übernommen werden könnten, hänge davon ab, wer das Werk übernehme, so Jurečka am Dienstag auf einer Pressekonferenz.

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