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Aus: Ausgabe vom 27.06.2024, Seite 16 / Sport
Fußballrealität

»Die Zivilgesellschaft ist gefragt«

Über nationalistische Umtriebe unter türkischen Fußballfans in der BRD. Ein Gespräch mit Ruken Akça
Von Gitta Düperthal
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Türkische Fans mit faschistischem »Wolfsgruß« beim Public Viewing in Stuttgart (18.6.2024)

Kriegsverherrlichung, aggressives Auftreten, Schmähungen: Beim EM-Auftaktspiel der Türkei gegen Georgien in Dortmund am 18. Juni wurden Sie Zeuge von antikurdischem Rassismus von Fußballfans. Sie fordern, das nicht länger zu verharmlosen. Was war da los?

Bildaufnahmen und Medienberichte von dem Tag belegen: Türkische Nationalisten nutzten Siege ihrer Mannschaft für rechte Hetze und um politische Oppositionelle einzuschüchtern. Das nationalistische Lied »Ölürüm Türkiyem«, auf deutsch »Ich sterbe für meine Türkei«, wurde gesungen. Das Zelebrieren türkischer Angriffskriege gegen Kurdinnen und Kurden durch Anhänger türkischer Fußballklubs oder der Nationalmannschaft darf hierzulande nicht länger ignoriert werden. Ob beim Autokorso in Dortmund oder auf der Fanmeile in Hamburg: An vielen Orten Deutschlands wurden rassistische Parolen skandiert, der »Graue ­Wölfe«-Gruß gezeigt.

Waren Ultragruppen beteiligt?

Nein. Dieses Gedankengut pflegen dieselben Leute, die bei den Wahlen in der Türkei hierzulande für die AKP und MHP stimmen. Wir haben Bilder gesehen, auf denen Frauen und Männer jeden Alters den »Wolfsgruß« zeigen.

Wird das Zeigen des faschistischen Grußes in der BRD toleriert?

Er ist nicht strafbar. In Österreich sind seit März 2019 Symbole der »Grauen Wölfe« wie der »Wolfsgruß« untersagt, 2020 hat Frankreich die Organisation verboten. Mit einem Bundestagsbeschluss 2020 wurde die Bundesregierung aufgefordert, gegen die Vereine der »Ülkücü«-Bewegung Organisationsverbote zu prüfen, da sich deren Ideologie durch Antisemitismus, Rassismus und Hass auf kurdische, alevitische, ezidische, armenische und andere Minderheiten äußert. Sie prüft noch immer, ergab eine kleine Anfrage der Fraktion Die Linke im vergangenen Jahr.

Im Zuge der Europameisterschaft werden auch Polizisten aus den teilnehmenden Staaten eingesetzt – auch aus der Türkei. Gab es Probleme?

Diese Polizeikräfte sind angehalten, im Rahmen der ihnen zugewiesenen Kompetenzen zu handeln. Alles darüber hinaus stellt neben der Verletzung völkerrechtlicher Standards den Missbrauch ihres Aufenthaltes in der BRD dar. In Dortmund musste eine Zurechtweisung türkischer Polizeikräfte durch die Bundespolizei erfolgen. Geflüchtete assoziieren mit türkischen Polizisten häufig mit über Generationen erduldete Greueltaten. Sie werden so retraumatisiert. Das Agieren türkischer Polizisten in Deutschland muss also aufmerksam beobachtet werden.

Gab es in jüngster Vergangenheit in der Türkei beim Fußball rassistische Angriffe?

Wie andere kurdische Fußballklubs sieht sich dort seit Jahren »Amedspor« mit antikurdischer Diskriminierung konfrontiert. Rechte Türken fühlen sich allein durch den Namen provoziert. Amed ist der kurdische Name der von den türkischen Behörden in Diyarbakır umbenannten Stadt. Seit die Türkische Fußballföderation 2015 der Namensänderung stattgab, ist ein Anstieg der Angriffe auf den Verein zu verzeichnen. Während des Spiels zwischen Bursaspor und Amedspor am 5. März 2023 in Bursa, drangen vier Fans in die Umkleidekabine von Amedspor ein und schlugen den Torwart Cantuğ Temel, den Spieler Anıl Şahin und den Vereinsmanager Ömer Elaldı. Spieler des Vereins, die Menschenrechtsverletzungen in Kurdistan thematisierten, wurden für mehrere Spiele gesperrt. Ein Kommentator des Sportkanals Aspor sprach während des Spiels kein einziges Mal den Namen des Vereins aus, sondern sprach stets von »den Anderen«. Ein Bus für die Frauenfußballmannschaft und Jugendspielerinnen von Amedspor wurde beschlagnahmt, was eine frauenfeindliche Haltung offenbart.

Gibt es aktuell Verbindungen zwischen den extrem rechten Szenen in der Türkei und der BRD?

Personen, die der türkisch-rechten Szene angehören, erfahren von der deutsch-rechten Szene Bestätigung. Übereinstimmung gibt es, was völkisch-nationalistische, rechtsautoritäre, antisemitische, antidemokratische, queerfeindliche und antifeministische Haltungen betrifft. In der Türkei steht ihre Ideologie im Einklang mit der Staatsideologie. In der BRD erfährt sie in der Mehrheitsgesellschaft keine direkte Resonanz.

Zur Historie: Gab es Austausch zu den »Grauen Wölfen« zwischen den türkischen und deutschen Behörden?

Bei einem Treffen 1978 sagte der bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß dem Faschistenführer Alparslan Türkeş persönlich zu, den Aufbau der Organisation »Graue Wölfe« in Deutschland zu begleiten. Damals ging es darum, linke Arbeitsmigranten einzuschüchtern, die immer vorne dabei waren, wenn es um gewerkschaftliche Organisation ging, sowie auch Oppositionelle, die in Deutschland Zuflucht fanden.

Warum bleibt die Bundesregierung hier passiv, obwohl aktuell »Graue Wölfe« in der BRD so unverhohlen agieren?

Da dominieren geostrategische Interessen. An die Türkei werden Waffen geliefert, teilweise über Drittländer, dazu kommt der EU-Türkei-Flüchtlingsdeal. Menschenrechte und Völkerrecht werden geopfert, türkische Kriegsverbrechen interessieren nicht. Die Bundesregierung und der Bundestag als Kontrollgremium sind gefordert: Das Prüfverfahren darf keine Endlosschleife werden. Der 2023 gegründete Parlamentskreis »Kurdisches Leben in Deutschland« kann eine zentrale Funktion übernehmen, um Druck aufzubauen. Der oft beschworene »Kampf gegen rechts« muss auch intermigrantischen Rassismus umfassen. Die Zivilgesellschaft ist gefragt. Antirassistische und antifaschistische Bündnisse dürfen solch rechte Strukturen keinesfalls einbeziehen.

Sie fordern auch, präventiv vorzugehen – wie etwa?

Wir halten es für dringend notwendig, in Schulen und pädagogischen Einrichtungen über den türkischen Rechtsextremismus aufzuklären. Die Rechten erziehen zu gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Was die Bundesregierung und auch die Landesregierungen seit Jahrzehnten tolerieren. Politikerinnen und Politiker normalisieren den Umgang mit türkischen extrem rechten Vereinen, statten ihnen gar Besuche ab. Will man ihnen den Nährboden entziehen, muss man aufhören, sie zu hofieren, und die finanzielle Unterstützung beenden.

Ruken Akça ist Kovorsitzende der Konföderation der Gemeinschaften Kurdistans in Deutschland e. V. (Kon-Med)

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