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Aus: Ausgabe vom 01.07.2024, Seite 2 / Inland
Streit um Straßennamen

»Sie hat viele Menschen geschützt«

Schleswig-Holstein: CDU will in Neumünster Straßenbenennung nach Kommunistin Anni Wadle verhindern. Ein Gespräch mit Heinrich Wadle
Interview: Thorben Austen
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Anni Wadle arbeitete bei KPD-Zeitungen in Norddeutschland

Der Ortsteilbeirat in Neumünster-Einfeld hatte vergangenes Jahr beschlossen, eine Straße in einem Neubauviertel nach Ihrer Mutter, der Antifaschistin und Widerstandskämpferin Anni Wadle zu benennen. Jetzt soll es diesen Straßennamen doch nicht geben. Was ist passiert?

Die Initiative gegen den Straßennamen ging von der örtlichen CDU aus. Sie berief sich auf formelle Fehler im Ortsteilbeirat, um den Beschluss rückgängig zu machen. Sie begründete dies mit ihrer Aktivität als Kommunistin, angebliche Verfassungsfeindin. Der Vorsitzende der CDU-Ratsfraktion hat sogar einen Historiker beauftragt, der Artikel meiner Mutter untersuchen sollte. Sie hatte in den letzten Jahren der Weimarer Republik bei KPD-Zeitungen in Norddeutschland gearbeitet.

Und fand der Historiker etwas, das die These der CDU stützt?

Das ist Interpretationssache. Die politischen Parteien haben sich gegenseitig bekämpft und über ihre Zeitungen beschimpft. Zum Vorwurf wird ihr die sogenannte Sozialfaschismustheorie gemacht, die die KPD damals vertrat. Unter den Tisch fällt aber, dass auch zum Beispiel die SPD im Vorwärts Kommunisten regelmäßig als Rotfaschisten beschimpfte.

Schrieb Ihre Mutter die fraglichen Artikel?

Nein, sie war im Kinder- und Jugendbereich tätig. Sie war aber die sogenannte Sitzredakteurin, also juristisch verantwortlich und musste Strafen absitzen. Geld, um Strafen zu zahlen, hatten linke Zeitungen damals nicht. Und die damals schon sehr braune Justiz war immer eifrig dabei, wenn es darum ging, gegen kommunistische Zeitungen vorzugehen. So war meine Mutter bei der Machtübertragung an die Faschisten schon mehrmals vorbestraft und polizeibekannt.

Blieb Ihre Mutter danach aktiv?

Sie war als Kurierin für die KPD in Hamburg tätig, im Untergrund. Sie hat illegale Treffs organisiert und war daran beteiligt, illegale Zeitungen aus Dänemark über die Grenze zu schmuggeln. Es war eine relativ große Widerstandsgruppe. Meine Mutter wurde schließlich am 15. September 1933 von der Gestapo verhaftet, verhört und gefoltert. Durch schwere Folter wurde sie ohnmächtig und trug zeitlebens Schwerhörigkeit und weitere Schäden davon. Sie hat niemanden verraten und dadurch viele Menschen geschützt. Sie kam ins Gefängnis nach Lübeck Lauerhof.

1936 hatte sie ihre Strafe abgesessen, wurde aber nicht freigelassen, sondern direkt ins Konzentrationslager Fuhlsbüttel bei Hamburg und dann ins KZ Moringen nördlich von Göttingen gebracht, eines der ersten Lager für weibliche Schutzhaftgefangene. Auf Intervention eines Arztes, der auf ihren sehr schlechten Gesundheitszustand hinwies, kam sie frei. Sie fand schließlich Arbeit in einer Seifenfabrik. Eine sehr schwere Arbeit, sie war sehr geschwächt. 1938 heiratete sie meinen Vater, den Kommunisten Hein Wadle. Hein wurde 1942 wieder verhaftet und kam ins Zuchthaus Brandenburg-Görden, dort wurde er von der Roten Armee befreit.

Wie ging es für Ihre Familie nach der Befreiung weiter?

Mein Vater wurde zunächst von der Roten Armee als stellvertretender Landrat und Leiter der landwirtschaftlichen Abteilung in Mecklenburg verpflichtet. Er sollte später eine Ergebenheitsadresse für Josef Stalin schreiben, wollte das aber nicht. Das war für ihn der Anlass, wieder in seine Heimat nach Kiel zurückzukehren.

Sahen nicht die meisten Kommunisten Stalin damals eher unkritisch?

Mein Vater hat Stalin schon immer kritisch gesehen.

Nach 1947 wurden meine Eltern unter anderem in der VVN aktiv. Meine Mutter schrieb Reden für meinen Vater, der als Gewerkschafter und Betriebsrat bei den Howaldtswerken regional bekannt war. So spielte er auch beim berühmten Metallarbeiterstreik von 1956 eine führende Rolle. Wir lebten lange im Arbeiterviertel Kiel Gaarden, bis die Werkswohnung gekündigt wurde und wir nach Neumünster ziehen mussten. Beide blieben bis zu ihrem Tod ihren Ideen treu, erst der KPD, dann der DKP. Mein Vater starb 1985, meine Mutter 2002. Sie hat 1988 ihre Lebensgeschichte in einem Buch mit dem Titel »Mutti, warum lachst du nie?« veröffentlicht.

In Kiel gibt es eine Straße und den Stadtteilladen namens »Anni Wadle«. Haben Sie noch Hoffnung, dass in Neumünster eine Straße nach Ihrer Mutter benannt wird?

Man weiß nie, was passieren wird. Aber dazu müssten sich die Mehrheitsverhältnisse im Rat in Neumünster ändern.

Heinrich Wadle ist Kreisvorsitzender der VVN-BdA in Neumünster

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Stephan K. aus Neumarkt i.d.OPf. (1. Juli 2024 um 10:52 Uhr)
    Für die Verbreitung und Bewahrung eines reaktionären Geschichtsbilds bedarf es offensichtlich nicht der AfD. Das können Teile der CDU immer noch ganz allein. Ein weiterer Beleg dafür, dass der Rechtsableger der Unionsparteien keineswegs alle Rechten aus der CDU mitgenommen hat. Anni Wadles Größe wird nicht durch ihre tatsächlichen oder angeblichen Irrtümer beeinträchtigt. Ihre Ehrung sollte für alle anständigen Demokraten eine Selbstverständlichkeit sein.

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