75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Gegründet 1947 Sa. / So., 07. / 8. September 2024, Nr. 209
Die junge Welt wird von 2927 GenossInnen herausgegeben
75 Ausgaben junge Welt für 75 € 75 Ausgaben junge Welt für 75 €
75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Aus: Ausgabe vom 13.07.2024, Seite 1 / Titel
»Fortschrittskoalition«

Kanonen statt Kinder

Finanzminister erteilt Absage an Kindergrundsicherung. Sozialkahlschlag und Kriegskurs der Ampelkoalition setzen sich fort
Von David Maiwald
1.jpg
Mit der Waffe in der Hand zeigte sich Lindner am Freitag auf Instagram, prahlte mit seiner Mitwirkung am »Sondervermögen«

Das Feigenblatt fällt. Die kürzlich beschlossenen Anhebungen bei den Sozialleistungen für Kinder seien »das, was auf der Leistungsseite in dieser Wahlperiode zu tun ist«, sagte Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) am Freitag gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Ob in der Regierungszeit bei der Zusammenarbeit der Behörden noch mehr möglich sei, müsse sich zeigen, so Lindner. Eine neue Behörde »mit vielleicht 5.000 Mitarbeitern wird es aber mit der FDP nicht geben«. Seine Aussage kann nur als deutliche Absage an die zur Farce geschrumpfte Kindergrundsicherung, immerhin »zentrales sozialpolitisches Projekt« der Ampelkoalition, gelesen werden. Fällt es, werden allein Sozialkahlschlag, Aufrüstung und der weitere Abbau demokratischer Rechte als Bilanz dieser Bundesregierung stehen bleiben.

Der bislang einzige Konsens der Regierung zur Kindergrundsicherung – Sozialleistungen für Kinder zu bündeln sowie deren Verwaltung zu vereinfachen – scheint durch die Aussage des Finanzministers auch gekündigt. Familienministerin Elisabeth Paus (Bündnis 90/Die Grünen) hatte die von ihr in Umlauf gebrachte Zahl von 5.000 für diese Strukturreform benötigten Stellen schon im April zurückgezogen. Trotz des dürftig ausgearbeiteten Gesetzentwurfs und der ungelenken Kommunikationsstrategie muss Paus immerhin zugute gehalten werden, dem Finanzminister durch eine zwischenzeitliche Blockadeandrohung beim »Wachstumschancengesetz« im Kabinett Steine in den Weg simuliert zu haben. Grünen-Fraktionsvize Andreas Audretsch bemühte sich am Freitag mit Aussagen über eine »Einführung in zwei Stufen« um Schadensbegrenzung.

Doch zeigt der andauernde Regierungskrach nicht mehr als die Schnittstelle politischen Unwillens und gleichzeitigem Unvermögen. Das buchstäbliche »wo ein Wille, da ein Weg« zeigte sich etwa beim 100-Milliarden-»Sondervermögen« für die Bundeswehr und dem nun voraussichtlich aufgestockten Rüstungsetat, auf den sich die Regierungsspitzen mit ihrem Haushaltskompromiss vergangene Woche geeinigt hatten. Man plane »weiteren Aufwuchs für die kommenden Jahre«, zeigte sich Lindner am Freitag beim RND kriegstüchtig. Nur effektiver und effizienter müsste es werden, »pro eingesetztem Euro Steuergeld auch mehr Sicherheit und mehr Fähigkeiten für die Bundeswehr« erwartbar sein.

Für die Bekämpfung sozialer Ungleichheit gilt das nicht. Schon jetzt bevorteilt der steuerliche Freibetrag besserverdienende Eltern deutlich vor armen Familien. Werden zum Jahresbeginn 2025 nun Kindergeld und Kindersofortzuschlag wie angekündigt – um jeweils fünf Euro – zeitgleich mit dem Kinderfreibetrag erhöht, werden Ungleichheit und Kinderarmut dadurch weiter festgeschrieben. Sozialforscher wie Christoph Butterwegge hatten mehrfach darauf hingewiesen, dass auch eine wirksame Kindergrundsicherung bei Beibehaltung der Steuervergünstigung auf nichts anderes hinauslaufen würde.

Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbands VdK, erinnerte am Freitag per Mitteilung ebenfalls daran. Der Ampelkoalitionsvertrag habe sich auf eine Kindergrundsicherung verständigt, »dieses Versprechen muss auch Herr Lindner einhalten«. Benteles Verband bemerkte ergänzend, die Ampelregierung dürfe sich »nicht vor Systemwandel drücken«. Vor drei Millionen armen Kindern drückt sich die Ampel aber nicht, sie nimmt sie in Kauf: Ihr »Wandel« heißt »Zeitenwende«. Das System bleibt.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

  • Leserbrief von Raimon Brete aus Chemnitz (14. Juli 2024 um 17:35 Uhr)
    Alte und kriegsbesessene Männer – leider auch Frauen dabei. Der Bildbeitrag zeigt ganz deutlich das wahre Gesicht sowohl der Politikerinnen und Politiker der Regierungsparteien, als auch der christlichen Unionsparteien. Mit einem euphorischen Gesichtsausdruck zeigen sie sich mit Waffen, schauen daraus hervor oder fliegen damit über unsere Köpfe hinweg. Der sozialdemokratische »Kriegsminister« zeigt sich nahezu entsetzt, dass seine finanziellen Forderungen für den Ausbau der Kriegsfähig- und Kriegstüchtigkeit Deutschlands nicht entsprochen werden soll. Die Regierenden und die CDU/CSU-Opposition überbieten sich im Kriegsgeheul und wollen Deutschland, koste es, was es wolle, zur dominierenden Nation in Europa schnellsten voranbringen. Damit das klappt, werden enorme finanzielle Mittel vor allem aus den sozialen- und bildungspolitisch bedeutsamen Bereichen gestrichen bzw. umgelenkt. Kinder, Jugendliche und sozial Bedürftige werden davon besonders schwer getroffen. Gleichzeitig wird damit auch die Zukunftsfähigkeit Deutschlands sehenden Auges infrage gestellt. Die Ampelregierung treibt mit diesen Kürzungen die soziale Spaltung wissentlich voran und gießt damit Öl ins politische Feuer der rechten Propagandisten. Deutschland begibt sich mit der Absage an diplomatische und abrüstungspolitische Grundpositionen und einer verabscheuungswürdigen Kriegshysterie uns bedingungslosen Unterstützung der US-Administration auf den Weg seiner Selbstaufgabe bzw. seiner Vernichtung. Ungeheuerlich, dass der Kanzler der SPD mit einem Lächeln die künftige Stationierung von neuen weitreichenden US-Raketen auf deutschem Boden begrüßt und das mit Wissen und Billigung der NATO sowie EU. Zu dieser schwerwiegenden Entscheidung gibt es keinen Parlamentsbeschluss und der Bürger soll es ohne Widerspruch akzeptieren. Um unser Leben willen, der Widerstand wird zur Pflicht!