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Aus: Ausgabe vom 13.07.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
NATO-Gipfel

Nicht zuletzt gegen China

Der NATO-Gipfel in Washington ist zu Ende. Das »Verteidigungsbündnis« rüstet sich verstärkt für die Offensive
Von Jörg Kronauer
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Zwei Strategen: Biden (USA) und Stoltenberg (NATO) nehmen Platz

Madrid, Vilnius, Washington: Das waren die Schauplätze der drei Gipfeltreffen, die die NATO seit dem Beginn des Ukraine-Krieges abgehalten hat. Abgesehen davon, dass bei allen dreien jeweils die militärische Unterstützung für die Ukraine sowie die Frage, ob das Land in das Bündnis aufgenommen werden soll, eine zentrale Rolle spielten: Die NATO nutzte ihre Gipfel, sich systematisch gegen Russland in Stellung zu bringen. In Madrid beschloss sie zunächst ihr neues Streitkräftemodell, das unter anderem vorsah, stets mindestens 300.000 Soldaten in hoher Bereitschaft zu halten. Mitte Juni meldete Jens Stoltenberg nicht nur Vollzug, sondern mehr: Man habe mittlerweile gut eine halbe Million Soldaten in hoher Bereitschaft, teilte der Generalsekretär der NATO mit. Ein Ziel des Madrider Gipfels ist also in der Hauptsache realisiert. In Vilnius beschloss das Bündnis dann, konkrete Verteidigungspläne zu erstellen, die das Vorgehen im Kriegsfall regeln und den NATO-Staaten jeweils Operationsgebiete zuordnen. Die nationalen Verteidigungspläne liegen mittlerweile vor.

Was aber noch fehlt, das sind vor allem Waffen und Munition, und zwar in dem Umfang, den die NATO für erforderlich hält, um die Verteidigungspläne bei Bedarf in die Praxis umzusetzen. Das war ein zentrales Thema auf dem Washingtoner Jubiläumsgipfel, der am Donnerstag nachmittag (Ortszeit) zu Ende ging. Die NATO hatte dafür am Mittwoch ein eigenes Treffen anberaumt. Auf ihm wurde eine Vereinbarung mit dem Titel »NATO Industrial Capacity Expansion Pledge« unterzeichnet, in der sich die Mitgliedstaaten darauf festlegten, ihre Rüstungsproduktion weiter auszudehnen. Zum einen sollen neue industrielle Kapazitäten geschaffen, sprich: Waffenfabriken gebaut werden. Zum anderen soll jeweils die Produktion so schnell wie möglich hochgefahren werden. All dies dient selbstverständlich auch dazu, die Ukraine mit Kriegsgerät zu beliefern. Langfristig werden damit jedoch vor allem die NATO-Streitkräfte aufgerüstet. Ein Abgleich mit den Verteidigungsplänen des Bündnisses zeige, »wo die Lücken sind«, zitierte die FAZ am Rande des Washingtoner Gipfels einen führenden NATO-Beamten.

»Lücken« finden sich dem Beamten zufolge nicht nur in den Munitionsbeständen, sondern etwa auch in der Aufklärungs- und Kommunikations-IT sowie in der Logistik, was nicht zuletzt für Deutschland von Bedeutung ist. Schließlich nimmt die Bundesrepublik in den NATO-Plänen für einen Krieg gegen Russland vor allem die Funktion einer Drehscheibe ein, über die Truppen und Waffen in Richtung Osten verlegt werden. Eine weitere »Lücke« erkennt die NATO bei Waffen, die »Schläge in der Tiefe« möglich machen – Angriffe auf weit entfernte Ziele mitten im feindlichen Territorium. Um die »Lücke« zu füllen, unterzeichneten die Verteidigungsminister Deutschlands, Frankreichs, Italiens und Polens am Rande des Gipfels eine Absichtserklärung zur Entwicklung einer Waffe – im Gespräch ist ein Marschflugkörper oder auch eine Hyperschallrakete – mit weit mehr als 1.000, vielleicht 2.000 Kilometern Reichweite. Sie könnte also Moskau erreichen. Weil die Entwicklung viel Zeit erfordern dürfte, will Washington ab 2026 übergangsweise »Tomahawk«-Marschflugkörper und Hyperschallraketen vom Typ »Dark Eagle« in Deutschland stationieren.

Was die Ukraine anbelangt – sie bekam in Washington warme Worte und weniger, als sie gewollt hatte. Dass sie keine Beitrittszusage erhalten werde, war von vornherein klar. Auf heftigen Druck vor allem aus dem Baltikum und aus Polen definierte die NATO Kiews Weg zu einer Mitgliedschaft im Bündnis als »unumkehrbar«. Das heißt aber nicht viel. Schließlich kann man auf einem Weg auch lange, sogar dauerhaft stehenbleiben, ohne umzukehren. Präsident Wolodimir Selenskij erhielt eine Zusage nicht für die sieben »Patriot«-Flugabwehrsysteme, die er eigentlich gefordert hatte, sondern für vier zuzüglich ein »Samp/T«-Flugabwehrsystem aus italienischer Produktion. Bei der Lieferung der zugehörigen Abwehrraketen soll die Ukraine künftig Vorrang erhalten. Das heißt, andere Staaten, die gleichfalls Abwehrraketen bestellt haben, müssen länger warten. Das US-Kommando in Wiesbaden, das zur Zeit die Aufrüstung und die Ausbildung der ukrainischen Streitkräfte koordiniert, wird in ein NATO-Kommando umgewandelt, damit ein etwaiger US-Präsident Donald Trump es nicht auflösen kann. Es soll rund 700 Militärs umfassen. Deutschland wird 40 davon stellen. Die Bundesregierung wollte ursprünglich deutlich mehr.

Ein gesondertes Treffen gab es nicht nur mit der Ukraine, sondern auch mit den vier engen NATO-Verbündeten der Asien-Pazifik-Region: Japan, Südkorea, Australien und Neuseeland. Es ging um die Weiterentwicklung von Strategien vor allem gegen China, aber auch gegen Nordkorea. Unter den europäischen NATO-Staaten ist das nach wie vor nicht unumstritten; unter anderem Frankreich hat sich immer wieder gegen allzu intensive NATO-Aktivitäten in der Asien-Pazifik-Region positioniert: Je mehr das transatlantische Bündnis dort erledigt, desto größer die US-Kontrolle, desto geringer der eigene Spielraum der europäischen Mächte. In Washington bestand vor allem Ungarns Außenminister Péter Szijjártó hartnäckig darauf, die NATO sei »ein Verteidigungsbündnis«: »Wir können sie nicht zu einem Anti-China-Block machen«, erklärte er am Rande des Gipfels.

Insofern hatte es auch eine Funktion für die internen Auseinandersetzungen in der NATO, dass vor allem US-Politiker auf dem Gipfeltreffen darauf herumritten, Russland führe seinen Krieg, wie es ein leitendes Mitglied der Washingtoner Foundation for Defense of Democracies formulierte, »mit der Unterstützung Irans, Nordkoreas, und Chinas«. Man könne also nicht nur gegen Russland, man müsse zugleich und nicht zuletzt gegen China vorgehen. Stoltenberg konstatierte, in die Gipfelerklärung habe man »die stärkste Botschaft« hineinformuliert, »die die NATO-Verbündeten jemals zu Chinas Beitrag für Russlands illegalen Krieg gegen die Ukraine gesandt haben«. Die NATO entwickelt sich damit immer mehr vom transatlantischen zum globalen, zum Weltkriegsbündnis.

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  • Leserbrief von Ilka Müller (16. Juli 2024 um 14:21 Uhr)
    Kein einziger von NATO-Ländern bisher geführter Krieg fiel unter das Verteidigungskriterium der NATO. In keinem Fall musste jemals ein Bündnisfall ausgerufen werden. Das zeigt, dass NATO kein Verteidigungsbündnis, sondern ein Angriffsbündnis ist, expandiert, angreift und sich einmischt ohne UN-Mandate und Deckung durch das Völkerrecht zur Sicherung hegemonialer Interessen vor allem der USA bzw. westlicher Mitgliedsstaaten. Dadurch geht eine immense Kriegsgefahr von diesem Bündnis aus. Es hätte 1990 ebenso aufgelöst werden müssen wie der Warschauer Vertrag. Aber leider hat Gorbatschow das verpasst. Er hatte alle Mittel dazu in der Hand, für die Zustimmung zur Wiedervereinigung, den Rückzug sowjetischer Truppen aus der DDR und die Auflösung des Warschauer Vertrages dasselbe von den USA und der NATO zu verlangen und es vertraglich absichern zu lassen. Im Prinzip liegen die Ursachen aller dann folgenden Angriffskriege der USA/NATO auf Serbien, den Irak, Afghanistan, Libyen, die Einmischung in Syrien sowie des Einmarsches Russlands in die Ukraine und die Einmischung der NATO mit Waffenlieferungen entgegen ihren Statuten und der UN-Charta in diesen Versäumnissen Gorbatschows begründet sowie in der Hybris der damaligen NATO-Länder, es als »Sieger« der Geschichte nicht nötig zu haben, Gorbatschows edles, großzügiges Verhalten mit gleichem Edelmut und gleicher Großzügigkeit zu ehren. Im Gegenteil, die trotz mündlicher Verneinung dennoch durchgeführte NATO-Osterweiterung ist ein nachträglicher Arschtritt für Gorbatschow. Die auf dem NATO-Gipfel abgegebenen Erklärungen bezüglich China und Russland sind Ausdruck weiterer Konfrontationen, die seitens der NATO-Länder bewusst gesucht werden. Nirgendwo eine Stimme der Vernunft, die von Ausgleich und friedlicher Koexistenz spricht. Seit 1990 eskaliert die NATO in kleinen Schritten und stellt die Bevölkerung mit der Boiling-frog-Methode ruhig. Das alles ist äußerst beängstigend. Ilka Müller, Bremen.
  • Leserbrief von Frank-Reg. Wolff aus z. Zt. Prag (15. Juli 2024 um 14:39 Uhr)
    Vor über 20 Jahren erklärte ein gewisser Dr. humoris causa Peter Struck als damaliger Bundeskriegsminister der (wieder-)vereinigten deutschen Öffentlichkeit, »Deutschland werde am Hindukusch verteidigt« – oder war es die Freiheit, die Sicherheit oder gar beides? Da die USA aufgrund des 11. September den Bündnisfall ausgerufen hatten und Bin Laden in Afghanistan weilte, wurde das der Grund für den NATO-Einsatz aller Verbündeter am bettelarmen Hindukusch und endete nach 20 Jahren sinnlosen Krieges dort mit dem übereilten Abzug aller NATO-Einheiten – ein NATO-Desaster! Von den sinnlos getöteten Menschen und den verbrannten Milliarden müssen wir nicht sprechen, Business As Usual, geht es doch jetzt schon wieder um neue Kriege, ein jeder ist ein Bombengeschäft und viele Milliarden sind dafür »not«wendig – wie z. B. für die zu fertigenden »Patriot«-Missiles, Munition oder die Exportmodelle des F-35 US-Kampfjets, dessen Mittelteile Rheinmetall bauen soll. Müßig zu fragen, warum sich die NATO nicht nach der Auflösung des Warschauer-Paktes auch auflöste? Die verbliebene Supermacht USA, die die NATO auch weiterhin für ihre globale Vormachtstellung brauchte, wollte diese nicht missen – jetzt haben wir den Salat! Ohne NATO-Expansion hätte es nie einen russischen Einmarsch in »Klein–Russland« gegeben und Putin blieb letztlich keine andere Wahl, um nicht sein imperiales Gesicht zu verlieren und einer russischen Dominotheorie Vorschub zu leisten. China und Russland sind mittlerweile Verbündete und führen gemeinsame Militärmanöver durc,h und der so genannte »Freie Westen« inklusive seines amerikanischen Spiritus Rectors wären gut beraten, sich nicht mit diesen beiden Mächten anzulegen, zumal China die neue Supermacht im Fernen Osten ist! Aber die NATO und allen voran die USA sind beratungsresistent und wollen ihr mieses Blatt (top secret) auf Teufel oder Putin (und Xi) komm raus unbedingt ausreizen, setzt man doch weiterhin auf die Technologiekarte des militärisch-industriellen Komplexes – als ob die Welt nicht existentielle Probleme anderweitig genug hätte, wird hier auf dem militärischen Sektor eine Unmenge an Intelligenz, Know-how und Geld verbrannt! Wir brauchen neue PolitikerINNEN weltweit, die keine PolitikerINNEN sein sollten – aber wo sind die Mandelas und Mahatmas in spe, die die Welt braucht. Ein Messias allein wird es wohl nicht mehr richten können und ich sehe schwarz für Gottes Schöpfung oder die Evolution, insbesondere den viel gerühmten Homo sapiens und seine maßlose Selbstüberschätzung!
  • Leserbrief von Kurt Lennartz aus 52066 Aachen (13. Juli 2024 um 09:19 Uhr)
    Die verantwortlichen Politiker (Scholz, Baerbock) hatten uns bei den ersten Munitionslieferungen versichert: »Deutschland lässt sich in diesen Krieg nicht hineinziehen« und »Es wird von unserer Seite keine zusätzlichen Eskalationen geben«. Aber fast alle Kriege entwickeln über Medien, Feindbilder, geschürte Ängste, Propaganda, Worst-Case-Spekulationen und zunehmendem Hass eigene Dynamiken auf allen Seiten. Zunächst ging es um Schutzhelme, medizinische Hilfen, Minenräumen und eindeutige Abwehrwaffen. Doch schon bald wurden die Waffenlieferungen umfangreicher und immer offensiver: gepanzerte Fahrzeuge, Panzer, Drohnen, Raketen, Flugzeuge. Gleichzeitig eskalierten auch die Einsatz- und Zerstörungs-Szenarien. Hatten die Verantwortlichen »Eskalationen« nicht ausgeschlossen? Nun wird von den USA beschlossen, Langstrecken-Marschflugkörper und neu entwickelte Überschallwaffen in Deutschland zu stationieren, die atomar bestückt werden können. Soll dies keine neue Eskalation sein? Wir werden hinter die Zeiten und Gefährdungen zurückgeworfen, die seit der Kuba-Krise ein Eskalations-No-Go der Großmächte sind. Und unsere Verantwortlichen (Scholz, Pistorius) wollen uns tatsächlich versichern, dies würde »kein neues Wettrüsten auslösen«. Die Wahrheit stirbt im Krieg als erstes, und zwar auf allen Seiten aller Kriegsparteien. Wo sind die Politiker, die überhaupt noch in der Lage sind, diese Eskalationsspiralen auch wieder zurückzudrehen?

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