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Aus: Ausgabe vom 13.07.2024, Seite 5 / Inland
Union Busting

Arbeiterkind gegen Milliardär

Union-Busting und Whistleblowing: Klage einer Buchhalterin gegen fristlose Entlassung beim Hasso-Plattner-Institut
Von Susanne Knütter, Potsdam
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»Ich dachte, ich stell’ mich dem …« (Gebäude des HPI in Potsdam)

Ein Blumenkübel hier, ein Blumenkübel da, neues Schloss, Garnison-Kirchturm und ein neu gebuddelter historischer Stadtkanal. Potsdamer nennen ihr Städtchen, in das Westberliner früher höchstens mal zum Kaffeetrinken kamen, Freilichtmuseum. Schuld daran sind Milliardäre wie Hasso Plattner. Dem kurfürstlichen neuen Landtagssitz spendierte der SAP-Gründer Fassade und Kupferdach. Und als die Ossis sich gegen den Abriss ihres einstigen Interhotels wehrten, ließ er das Palais Barberini als Ausstellungsort für seine Kunstsammlung wiedererrichten. Plattner »rettete« (Tagesspiegel und Potsdamer Neuste Nachrichten) auch das Café Minsk auf dem Brauhausberg, das ohne die Invasion der westlichen Ordnung nach Ostdeutschland gar nicht hätte gerettet werden müssen. Der Eintritt heute: zehn Euro (ermäßigt acht).

Und schließlich betätigte er sich als »Brückenbauer« (aus dem besagten Gefälligkeitsartikel von Tagesspiegel und Potsdamer Neuste Nachrichten von Anfang des Jahres) zwischen Wirtschaft und Wissenschaft, indem er etwa das Hasso-Plattner-Institut (HPI) gründete. Wie es da zugeht, ist spätestens seit März bekannt, als Rechnungen in Höhe von rund 220.000 Euro öffentlich wurden, die offenbar für Beratungsleistungen und Kommunikationsstrategien zur Verhinderung eines Betriebsrats ausgestellt wurden.

Darum, wie die Rechnungen an die Presse (Correctiv, PNN, Tagesspiegel) gelangten, ging es am Donnerstag in Potsdam beim Arbeitsgerichtsprozess »Anna B. gegen das Hasso-Plattner-Institut«. Die junge Buchhalterin hatte gegen ihre fristlose Entlassung am 7. März geklagt. Das Institut hatte ihr vorgeworfen, sich die vertraulichen Dokumente an ihre private E-Mail-Adresse geschickt und sie dann weitergegeben zu haben. Ersteres konnte ihr in drei von fünf Fällen nachgewiesen werden. Letzteres nicht. HPI-Anwalt Tobias Pusch, dessen Kanzlei übrigens zu den Begünstigten besagter Rechnungen gehört, räumte ein, dass es sich hier um keine Tatkündigung, sondern um eine (rechtswidrige) Verdachtskündigung handelte. Allerdings weise eine Reihe von Indizien auf Anna B. hin. Nur sie habe die Rechnungen heruntergeladen, sich zugesendet und die Mails am gleichen Tag gelöscht. Warum, sei offengeblieben.

Rojat Akay, Anwalt von Anna B., erinnerte an das Arbeiten im Homeoffice und an ein fehlerhaftes neues IT-System, das es nötig gemacht habe, Dokumente weiterhin herunterzuladen – trotz anderslautender Ansichten der HPI-Geschäftsführung. Um Dokumente an Externe weiterzuleiten, so Akay, müsse man sie aber weder herunterladen noch sich per E-Mail schicken. Da reiche ein Foto oder eine Abschrift. Unstrittig ist, dass mindestens zwei weitere Systemadministratoren die Rechnungen geöffnet haben.

Die Vorsitzende Richterin betonte immer wieder, wie »schwierig« dieser Fall sei. Es herrsche da keineswegs Einigkeit zwischen ihr und den beiden Beisitzern. Wiederholt wurde die Verhandlung für Beratungen unterbrochen. Am Ende legte die Richterin einen Vergleich nahe und schlug der Buchhalterin, die fünf Jahre an dem Institut gearbeitet hatte, eine Abfindung in Höhe von 9.000 Euro vor. HPI-Anwalt Pusch lehnte einen Vergleich zunächst ab. »Wir haben ein mediales, öffentliches, gewerkschaftliches Interesse.« Eine Abfindung käme einem Schuldeingeständnis gleich.

Nach einer Beratungspause forderte Anwalt Akay im Namen seiner Mandantin eine Abfindung von 40.000 Euro. Die Richterin fand eine so hohe Forderung auch gegenüber einem finanzstarken Unternehmen wie dem HPI unangemessen und bestand darauf, dass sich Anna B. selbst erkläre. Die mochte dem HPI in nichts nachstehen: »Ich lass’ mich nicht mit einem Taschengeld abspeisen. Denn ich habe keine Schuld.«

»Mit dem Betrag wollten wir noch einmal ein Statement setzen«, sagte Akay anschließend im Gespräch mit jW. Was am Ende herauskam, befand er für sehr gut: Das HPI macht aus der außerordentlichen Kündigung eine ordentliche, zahlt 10.000 Euro Abfindung und zusätzlich zwei Monatsgehälter. Der Vergleichstext hält fest: »Es lässt sich nicht feststellen, dass eine Pflichtverletzung vorliegt.«

»Wir sind sehr froh, dass es vorbei ist«, sagte Anna B.s Mutter gegenüber jW. Das alles habe sehr an ihrer Tochter gezehrt. Und augenscheinlich auch an ihr, der die Sorgen nach wie vor ins Gesicht geschrieben standen. Die Richterin hatte angedeutet, dass der Prozess sich noch über zwei Jahre hinziehen könne, wenn jetzt keine Einigung gelänge. »Der Gegner hat die finanziellen Möglichkeiten, aber wir?« Und da wurde klar, wer hier letztlich gegen den Milliardär Plattner aufgestanden ist. Anna B. kommt aus Hamburg, hat sieben Geschwister, der Vater ist Arbeiter: »25 Jahre im Außendienst, Zerspahnung, beim Werkzeughersteller Ingersoll«. Anna B. selbst war nach der zweistündigen Verhandlung völlig erschöpft: »So etwas macht man nicht jeden Tag. Ich dachte, ich stell’ mich dem …«

Und wie steht es um den Betriebsrat? Unterstützer vom Arbeitskreis kritischer Juristen und aus der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, die zur Verhandlung gekommen waren, machten deutlich, dass am HPI ein neuer Vorstoß unternommen werden müsste, nachdem nun erst einmal ein zahnloser »Institutsrat« installiert worden sei. Der Vater von Anna B. ist sich sicher: »Das ist nur aufgeschoben, wenn so etwas schwelt.« Er spricht aus eigener Erfahrung mit einem Betriebsrat, der jahrelang im Interesse des Konzerns gehandelt habe. »Bis jemand kam, der was für die Belegschaft machen wollte.«

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