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Aus: Ausgabe vom 13.07.2024, Seite 10 / Feuilleton
Literatur

Ham se dich jefressen? Fußballspielen im Schönower Park

Fußballspielen im Schönower Park
Von Pierre Deason-Tomory
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»Es war anders als mit den Deutschen. Die Türken machten Scherze und lachten! Beim Fußball!«

Als ich ein kleiner Junge war, lebte ich in der grauen Nürnberger Südstadt. Jedes Jahr zu Beginn des Sommers kamen meine Großeltern aus Westberlin auf dem Weg zur Sommerfrische im Fränkischen vorbei, und auf dem Rückweg nahmen sie uns Kinder mit nach Hause, wo sie in der Machnower Straße am S-Bahnhof Zehlendorf einen kleinen Lebensmittelladen hatten.

Ferien in Berlin waren super. Opa und Oma ließen mich zufrieden, ich konnte die ganze Zeit machen, was ich wollte. Wenn ich in den Laden ging, durfte ich mir handvollweise Haribo-Gummitiere nehmen, und Opa steckte mir Kleingeld zu: »Aba sach Oma nüscht, Junge!« Tat ich nicht, und wenn mir Oma Geld gab, sollte ich sie nicht bei Opa verpfeifen. Mittwochs fuhr ich mit »Opa Wegner« zur Metro, dort belud er den Einkaufswagen mit einem bedrohlich schwankenden Turm Ware, ließ Preisschilder verschwinden, bezirzte die Verkäuferinnen, und in der Kantine gab er mir eine Wurst aus und trank einen Cognac. »Aba sach Oma nüscht …«

Eines Tages nieselte es, und ich bummelte gelangweilt durch den Schönower Park. Auf einer Wiese sah ich welche Fußball spielen, es waren Türken, Mädchen und Jungs und Erwachsene. Ich blieb stehen und guckte aus der Ferne zu, etwas befremdet. Ich mochte die Türken nicht, die waren anders, dunkel, seltsam angezogen. Die Frauen trugen einen Rock über einem Paar langer Hosen, die Männer einen schwarzen Schnurrbart, die Jungs einen hässlichen Anzug aus dickem Stoff, aus dem sie lange herausgewachsen sein mussten, bevor sie einen neuen bekamen. Die Türken stinken, sagten die Leute, ob das stimmte, wusste ich nicht, ich ging ihnen aus dem Weg.

Wir Deason-Tomorys waren irgendwie auch anders, aber nur ein bisschen. Die anderen Leute, die Nürnberger Eingeborenen, klangen beim Reden wie Schlaganfallpatienten, Vater dagegen sprach mit einem starken ungarischen Akzent, Mutter Berliner Mundart. Die einzigen Menschen, die ich kannte, die wie die Leute im Fernsehen richtig Deutsch konnten, waren mein großer Bruder und ich.

Mit dem ging ich zum Spielen in den Annapark. Es gab oft Senge, wenn wir abends wieder zu Hause waren, weil ich vor Schmutz starrte, nachdem ich z. B. den ganzen Park umgegraben hatte. Hier wurde natürlich auch Fußball gespielt. Ich war eine Niete, klapperdürr, hatte zwei linke Füße. Wenn ich etwas falsch machte, wurde ich angebrüllt, und ich machte immer etwas falsch. Die Spielidee war, dass einer sich so lange Richtung gegnerisches Tor durchdribbelt, bis er umgelegt wird, während die anderen unablässig »Gib ab!« brüllen. Ich bekam nie den Ball, also ließ ich es irgendwann sein.

Nun stand ich in Berlin im Schönower Park und sah den Türken beim Kicken zu. Sie bemerkten mich, und einer rief: »Willst du mitspielen?« Ich wusste nicht, was tun, da winkten mir alle und riefen »Los! Komm schon!« und so lief ich schüchtern hinüber und spielte mit.

Es war anders als mit den Deutschen. Die Türken machten Scherze und lachten! Beim Fußball! Der Ball flog auf mich zu, ich wollte ihn nach vorne treten, traf nicht richtig, und er versprang nach rechts ins Nirgendwo. Und die Türken? Warfen sich auf den Boden und lachten sich tot! Ein Alter gab mir einen aufmunternden Stoß in die Rippen, und es wurde weitergespielt. Die lachten jedesmal, wenn einer etwas Dummes machte, es war großartig, und ich hatte immer gedacht, Fußball ist eine ernste Sache.

Ich kickte den ganzen Nachmittag, rannte wie aufgezogen hin und her, und als ich nach Hause kam, war meine Bluejeans grün und braun von der Wiese. Opa: »Wo warste denn, mein Kleener?« – »Im Park, hab mit den Türken Fußball gespielt.« – »Und ham se dich jefressen?« – »Nee, Opa, die waren total nett!« – »Is nich wahr!« – »Jeh dich waschen, du stinkst«, befahl die Großmutter.

Seitdem spielte ich immer mit, wenn irgendwo gebolzt wurde, nur besser wurde ich nicht. Und die Türken befremdeten mich nicht mehr. Ich glaubte, erkannt zu haben, dass sie so sind wie alle anderen auch. Aber das war ein Irrtum. Sie sind viel netter als die Deutschen.

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