75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Gegründet 1947 Sa. / So., 07. / 8. September 2024, Nr. 209
Die junge Welt wird von 2927 GenossInnen herausgegeben
75 Ausgaben junge Welt für 75 € 75 Ausgaben junge Welt für 75 €
75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Aus: Ausgabe vom 13.07.2024, Seite 15 / Geschichte
Reformation

Der Satan von Allstedt

Vor 500 Jahren postulierte Thomas Müntzer in seiner »Fürstenpredigt« das Widerstandsrecht des Volkes
Von Marc Püschel
15.jpg
Thomas Müntzer predigt den Fürsten (Zeichnung aus dem 19. Jahrhundert)

Die 1520er waren unübersichtliche Jahre, selbst für Fürsten. Überall fanden sich Prediger ein und verwarfen Althergebrachtes im Glauben und in der Gesellschaft. Auch Allstedt, eine südöstlich des Harz gelegene Kleinstadt, die selbst mit Umland kaum 2.500 Seelen zählte, machte da keine Ausnahme. Ungewöhnlich radikal sollte der dortige Prediger allerdings sein. Als im März 1524 auch noch eine Marienkapelle vor Ort in Brand gesteckt wurde, musste der sächsische Herzog Johann sich der Sache annehmen.

Am 12. Juli 1524 bezieht der wettinische Landesherr auf Schloss Allstedt Quartier. Am Morgen des nächsten Tages wird der Theologe, der solchen Ärger verursacht hat, vorgeladen, um auf Probe zu predigen. Das lässt sich zunächst ganz gewöhnlich an. Sicher, er ereifert sich etwas zu sehr gegen den Klerus, aber das war man in Reformationszeiten gewohnt. Auch den Aufruf, die Regenten hätten den Willen Gottes auszuführen, lassen sich Johann und sein Gefolge gefallen – lieber war man selbst zuständig als der Pfaffe in Rom.

Doch plötzlich kippt die Stimmung. Würden die Fürsten nicht die Gottlosen vertilgen, so donnert der Prediger, »so wird ihnen das Schwert genommen werden«. »Wegtun« solle man sie dann und wo sie sich widersetzen, »erwürgen ohn alle Gnade«. Dergleichen dem Herzog ins Gesicht zu sagen, hatte noch nie jemand gewagt. Fluchtartig verlässt Johann Allstedt.

Unstete Jahre

Der da so unverhohlen und mutig den Fürsten droht, ist Thomas Müntzer. Dass er Mitte 1524 als revolutionärer Theologe die politische Bühne betreten würde, war nicht abzusehen. Zu dem wie aus dem Nichts kommenden Müntzer passt, dass selbst über seine Herkunft kaum etwas bekannt ist. Geboren wurde er in Stolberg, doch weder kennt man die Eltern noch das Geburtsjahr. Vom ersten gesicherten Datum – der Immatrikulation an der Universität Leipzig 1506 – lässt sich zurückrechnen, dass Müntzer 1489 oder 1490 geboren worden sein muss. Anfang 1514 wird er in der Halberstädter Diözese zum Priester geweiht. Aus Briefen kann geschlossen werden, dass Müntzer sich 1517 oder 1518 in Wittenberg aufgehalten und Martin Luther getroffen hat.

Ab 1520 wirkt Müntzer in Zwickau, wo er an der Marienkirche und der Katharinenkirche sein Profil als ablasskritischer Reformer schärft. Doch zeigen sich bereits Differenzen zu Luther. In der Zwickauer Kirchengemeinde trat ein predigender Tuchmacher namens Nikolaus Storch auf, der Müntzer tief beeindruckte. Dieser Laie sei mit seiner Bibelkenntnis über alle Priester erhaben, so Müntzer, der dessen spiritualistisches Verständnis der Bibel übernahm. Anders als Luthers »sola scriptura«-Prinzip, demzufolge allein die Heilige Schrift den Willen Gottes vermittle, sei dieser für Laien unmittelbar erfahrbar. Wer keine innerlich, lebendige Offenbarung empfängt, »der weiß von Gotte nichts gründlich zu sagen, wenn er gleich hunderttausend Bibeln hätt gefressen«.

Doch ist es zunächst Luther, der im Vordergrund steht. Als dieser sich im April 1521 weigert, vor dem Kaiser seine Lehren zu widerrufen, spitzt sich die politische Lage auch für Müntzer zu. Er kehrt Zwickau den Rücken zu und geht wieder auf Wanderschaft, getrieben von dem Glauben an eine bevorstehende Apokalypse und die Ankunft des Antichrist.

Erst Anfang 1523 wird er sesshaft und nimmt eine Stelle als Pastor an der Johanniskirche in Allstedt an. Dort findet er endlich Verhältnisse vor, unter denen er wirken kann. Den Gottesdienst krempelt er völlig um, übersetzt Bibelkapitel ins Deutsche und liest sie der Gemeinde vor. Damit ist er unerwartet erfolgreich. Aus dem ganzen Mansfelder Land und dem Südharz kommen Bauern, Handwerker, Tagelöhner und Bergarbeiter, um ihm zuzuhören. Den Adligen in der Umgebung ist das ein Dorn im Auge. Der katholische Graf Ernst von Mansfeld verbietet seinen Untertanen, nach Allstedt zu gehen. Müntzer wiederum beschwert sich darüber bei Kurfürst Friedrich dem Weisen. Erste Herrschaftskritik klingt durch, als er im Oktober 1523 schreibt: »die fursten seyn den frommen nicht wohlgesinnt.«

Unterstützung erhalten die Adligen von unerwarteter Seite. Luther schreibt im Juni 1524 an den sächsischen Kurprinzen Johann Friedrich, der »Satan von Allstedt« trotze in seinem Winkel und wolle nicht zu Gesprächen nach Wittenberg kommen. In der Folge beginnt Müntzer sich von dem zunehmend obrigkeitstreuen Luther abzugrenzen, nennt ihn zunächst zurückhaltend »Bruder Sanftleben«, später polemisch »Doktor Lügner« oder »der neue Papst«. Um sich publizistisch gegen dessen Angriffe zu wehren, will er in Allstedt eine Druckerei einrichten. Das gelte es zu unterbinden, schreibt Anfang Juli Friedrich der Weise an seinen Bruder, den Herzog Johann.

Letzterer macht sich daraufhin mit dem Kurprinzen nach Allstedt auf. Am 13. Juli hält ihnen dort Müntzer die »Fürstenpredigt«. Sie behandelt einen Text des Propheten Daniel, in dem es um die Deutung eines Traums des babylonischen Königs Nebukadnezar II. geht. Der Traum dreht sich um eine riesige metallene Statue, die von einem Stein, der von einem Berg herabrollt, umgestürzt wird. Müntzer gibt der Erzählung über den Stein, der symbolisch für den Geist Christi steht, der die sündhaften Weltreiche zu Fall bringt, eine herrschaftskritische Wendung und warnt die Fürsten: »Denn der Stein, ohn Hände vom Berge gerissen, ist groß geworden. Die armen Laien und Baurn sehn ihn viel schärfer an denn ihr.«

Wendepunkt

Gegenüber den sanft mahnenden Fürstenspiegeln des Mittelalters war die »Fürstenpredigt« ein völliger Bruch. Auch das darin formulierte Widerstandsrecht war bis dato unbekannt. Denn Müntzer ging es nicht um ein bloßes Abwehrrecht gegen unrechtmäßige Eingriffe der Fürsten, sondern um die aktive Schaffung eines gottgemäßen Reiches, das auf sozialer Gleichheit beruht. »Er hatte die Konsequenzen aus seiner Lehre gezogen«, schreibt der Müntzer-Biograph Günter Vogler, »das Widerstandsrecht des Volkes gegen tyrannische Obrigkeiten war öffentlich proklamiert. Das Ziel konnte nur noch eine revolutionäre Veränderung der Welt sein.«

Und der Theologe schritt zur Tat. Am 24. Juli fordert Müntzer in seinem Gottesdienst dazu auf, einen neuen Bund des Volkes mit Gott zu schaffen. An die 500 Menschen bewaffnen sich daraufhin, ziehen zum Rathaus und lassen sich in eine Bundesliste eintragen. Auch in umliegenden Gemeinden und Städten will Müntzer nun die Schaffung von »christlichen Verbündnissen« befördern. Doch das Vorhaben stockt, zu unklar sind die Ziele.

Am 1. August 1524 wird Müntzer zum Verhör nach Weimar einbestellt. Obwohl er von Ratsherren aus Allstedt schwer belastet wird, darf er unbehelligt zurückkehren, muss aber den Druckereiplan aufgeben. Am 8. August verlässt er die Stadt und geht nach Mühlhausen. Dass er in Allstedt nicht mehr wirken konnte, war nur ein Grund für die Flucht. Aus dem Südwesten Deutschlands drangen Berichte von Bauernrevolten durch. Krieg stand bevor, und Müntzer, nun zu allem entschlossen, zog ihm entgegen.

Das Unkraut ausraufen

Sieh an den 44. Psalm und 1. Chron. 14, da wirst du finden die Auflösung also: Sie haben das Land nicht durch das Schwert gewonnen, sondern durch die Kraft Gottes, aber das Schwert war das Mittel, wie uns Essen und Trinken ein Mittel ist, zu leben, also nötlich ist auch das Schwert, die Gottlosen zu vertilgen (Röm. im 13.). Dass aber dasselbige nu redlicher Weise und füglich geschehe, so sollen das unsere teuren Väter, die Fürsten, tun, die Christum mit uns bekennen. Wo sie aber das nicht tun, so wird ihnen das Schwert genommen werden (Dan. im 7. Kapitel), denn sie bekennen ihn also mit Worten und leugnen sein mit der Tat (Tit. 1). Also sollen sie den Feinden vortragen den Friede (5. Mos. 2): Wollen sie geistlich sein und die Kunst Gottes nicht berechnen (1. Petr. 3), so soll man sie wegtun (1. Kor. 5). Aber ich bitt für sie mit dem frommen Daniel, wo sie Gottes Offenbarung nicht wider sein; wo sie aber das Widerspiel treiben, daß man sie erwürge ohn alle Gnade, wie Hiskia, Josias, Cyrus, Daniel, Elias (1. Kön. 18) die Pfaffen Baal verstöret haben.

Anders mag die christliche Kirch zu ihrem Ursprung nicht wieder kommen. Man muß das Unkraut ausraufen aus dem Weingarten Gottes in der Zeit der Ernten, dann wird der schöne rote Weiz beständige Wurzeln gewinnen und recht aufgehn (Matth. 13).

(Fürstenpredigt. In: Thomas Müntzer: Die Fürstenpredigt und andere politische Schriften, hg. v. Siegfried Streller, Leipzig 1958, S. 54 f.)

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (12. Juli 2024 um 21:02 Uhr)
    Thomas Müntzer: Ein Vordenker der Unverfrorenheit. Es war einmal in Allstedt, einer beschaulichen Kleinstadt im Herzen Deutschlands, wo der Lärm der Geschichte kaum je hinzudringen schien. Doch im Sommer 1524 sollte sich dies ändern, als Thomas Müntzer, der Prediger mit einem Hang zur Radikalität, auf die politische Bühne trat. Wer hätte gedacht, dass dieser unscheinbare Theologe, geboren in den Unbekanntheiten Stolbergs, einmal die Fürsten zittern lassen würde? Müntzers »Fürstenpredigt« am 13. Juli 1524 auf Schloss Allstedt, war keine gewöhnliche Predigt. Anfangs noch relativ harmlos, spitzte sich die Lage schnell zu, als er plötzlich anfing, den Herrschenden ins Gesicht zu schleudern, dass sie »die Gottlosen vertilgen« müssten, ansonsten würde »ihnen das Schwert genommen« werden. Ein Konzept, das damals revolutionär und erschreckend zugleich war – das Widerstandsrecht des Volkes. Der arme Herzog Johann musste sich wohl fühlen wie im falschen Film, als er Müntzers donnernde Stimme hörte: »Erwürgen ohn alle Gnade«. Man kann sich die Flucht des Herzogs fast bildlich vorstellen, fluchtartig und überstürzt, wohl wissend, dass dies ein Bruch mit allem Bisherigen bedeutete. Und was lernen wir daraus? Müntzer, der Revoluzzer wider Willen, zog die Konsequenzen aus seiner Lehre: Ein gottgemäßes Reich auf sozialer Gleichheit basierend, für das notfalls das Schwert gezückt werden musste. Historisch mag es ein Wendepunkt gewesen sein, aber heute sehen wir darin die unvergängliche Botschaft, dass mit einer feurigen Rede und dem Mut zur Wahrheit manchmal mehr bewegt werden kann als mit tausend politischen Debatten. Doch seien wir ehrlich: Würden wir heute so etwas wagen, endeten wir vermutlich auf Twitter als Meme. Müntzer jedoch, der stürmische Prediger aus Allstedt, wird als jener in Erinnerung bleiben, der den Fürsten zeigte, dass auch Prediger Feuer spucken können – wortwörtlich.

Regio:

Mehr aus: Geschichte