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Aus: Ausgabe vom 13.07.2024, Seite 3 (Beilage) / Wochenendbeilage

Was ökonomische Epochen unterscheidet

Karl Marx im »Kapital«: Die Arbeitsmittel sind Anzeiger der gesellschaftlichen Verhältnisse, worin gearbeitet wird.
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Die Erde selbst ist ein Arbeitsmittel und das Korn Produkt einer von Generationen mittels menschlicher Arbeit fortgesetzten Umwandlung. Französische Bauern an der Somme bei der Ernte in den 1890er Jahren

Die Erde selbst ist ein Arbeitsmittel, setzt jedoch zu ihrem Dienst als Arbeitsmittel in der Agrikultur wieder eine ganze Reihe andrer Arbeitsmittel und eine schon relativ hohe Entwicklung der Arbeitskraft voraus. Sobald überhaupt der Arbeitsprozess nur einigermaßen entwickelt ist, bedarf er bereits bearbeiteter Arbeitsmittel. In den ältesten Menschenhöhlen finden wir Steinwerkzeuge und Steinwaffen. Neben bearbeitetem Stein, Holz, Knochen und Muscheln spielt im Anfang der Menschengeschichte das gezähmte, also selbst schon durch Arbeit veränderte, gezüchtete Tier die Hauptrolle als Arbeitsmittel. Der Gebrauch und die Schöpfung von Arbeitsmitteln, obgleich im Keim schon gewissen Tierarten eigen, charakterisieren den spezifisch menschlichen Arbeitsprozess, und Franklin definiert daher den Menschen als »a toolmaking animal«, ein Werkzeuge fabrizierendes Tier. Dieselbe Wichtigkeit, welche der Bau von Knochenreliquien für die Erkenntnis der Organisation untergegangner Tiergeschlechter, haben Reliquien von Arbeitsmitteln für die Beurteilung untergegangner ökonomischer Gesellschaftsformationen. Nicht was gemacht wird, sondern wie, mit welchen Arbeitsmitteln gemacht wird, unterscheidet die ökonomischen Epochen. Die Arbeitsmittel sind nicht nur Gradmesser der Entwicklung der menschlichen Arbeitskraft, sondern auch Anzeiger der gesellschaftlichen Verhältnisse, worin gearbeitet wird. Unter den Arbeitsmitteln selbst bieten die mechanischen Arbeitsmittel, deren Gesamtheit man das Knochen- und Muskelsystem der Produktion nennen kann, viel entscheidendere Charaktermerkmale einer gesellschaftlichen Produktionsepoche als solche Arbeitsmittel, die nur zu Behältern des Arbeitsgegenstandes dienen und deren Gesamtheit ganz allgemein als das Gefäßsystem der Produktion bezeichnet werden kann, wie zum Beispiel Röhren, Fässer, Körbe, Krüge usw. Erst in der chemischen Fabrikation spielen sie eine bedeutungsvolle Rolle. (Note zur 2. Ausgabe: So wenig die bisherige Geschichtsschreibung die Entwicklung der materiellen Produktion, als die Grundlage alles geschichtlichen Lebens und daher aller wirklichen Geschichte kennt, hat man wenigstens die vorhistorische Zeit auf Grundlage naturwissenschaftlicher, nicht sogenannter historischer Forschungen nach dem Material der Werkzeuge und Waffen in Steinalter, Bronzealter und Eisenalter abgeteilt.)

Im weitren Sinn zählt der Arbeitsprozess unter seine Mittel außer den Dingen, welche die Wirkung der Arbeit auf ihren Gegenstand vermitteln und daher in einer oder der andren Weise als Leiter der Tätigkeit dienen, alle gegenständlichen Bedingungen, die überhaupt erheischt sind, damit der Prozess stattfinde. Sie gehn nicht direkt in ihn ein, aber er kann ohne sie gar nicht oder nur unvollkommen vorgehn. Das allgemeine Arbeitsmittel dieser Art ist wieder die Erde selbst, denn sie gibt dem Arbeiter den locus standi (Standort) und seinem Prozess den Wirkungsraum (field of employment). Durch die Arbeit schon vermittelte Arbeitsmittel dieser Art sind zum Beispiel Arbeitsgebäude, Kanäle, Straßen usw.

Im Arbeitsprozess bewirkt also die Tätigkeit des Menschen durch das Arbeitsmittel eine von vornherein bezweckte Veränderung des Arbeitsgegenstandes. Der Prozess erlischt im Produkt. Sein Produkt ist ein Gebrauchswert, ein durch Formveränderung menschlichen Bedürfnissen angeeigneter Naturstoff. Die Arbeit hat sich mit ihrem Gegenstand verbunden. Sie ist vergegenständlicht, und der Gegenstand ist verarbeitet. Was auf seiten des Arbeiters in der Form der Unruhe erschien, erscheint nun als ruhende Eigenschaft, in der Form des Seins, auf seiten des Produkts. Er hat gesponnen, und das Produkt ist ein Gespinst.

Betrachtet man den ganzen Prozess vom Standpunkt seines Resultats, des Produkts, so erscheinen beide, Arbeitsmittel und Arbeitsgegenstand, als Produktionsmittel und die Arbeit selbst als produktive Arbeit. (…)

Mit Ausnahme der extraktiven Industrie, die ihren Arbeitsgegenstand von Natur vorfindet, wie Bergbau, Jagd, Fischfang usw. (der Ackerbau nur, soweit er in erster Instanz die jungfräuliche Erde selbst aufbricht), behandeln alle Industriezweige einen Gegenstand, der Rohmaterial, d. h. bereits durch die Arbeit filtrierter Arbeitsgegenstand, selbst schon Arbeitsprodukt ist. So zum Beispiel der Samen in der Agrikultur. Tiere und Pflanzen, die man als Naturprodukte zu betrachten pflegt, sind nicht nur Produkte vielleicht der Arbeit vom vorigen Jahr, sondern, in ihren jetzigen Formen, Produkte einer durch viele Generationen unter menschlicher Kontrolle, vermittelst menschlicher Arbeit, fortgesetzten Umwandlung. Was aber die Arbeitsmittel insbesondre betrifft, so zeigt ihre ungeheure Mehrzahl dem oberflächlichsten Blick die Spur vergangner Arbeit

Karl Marx: Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. Erster Band. Vierte, von Friedrich Engels durchgesehene und herausgegebene Auflage, Hamburg 1890. Hier zitiert nach: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke (MEW), Band 23. Dietz-Verlag, Berlin 1969, Seiten 194–196

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