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Aus: Ausgabe vom 17.07.2024, Seite 4 / Inland
Grenzpolitik im Schengen-Raum

Hauptsache Kontrolle

Unionsparteien fordern Verlängerung der vor der Fußball-EM eingeführten Grenzkontrollen. Ökonomisch erwünschter Verkehr soll fließen
Von Henning von Stoltzenberg
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Der Verdacht der Beamten fällt bei Sportgroßereignissen auch auf Fußballfans (Aachen, 22.6.2024)

In Nordrhein-Westfalen verfügt man offenbar über magische Fähigkeiten. Oder Ministerpräsident Hendrik Wüst übt sich im Demagogie-Spagat. Der CDU-Politiker hat sich in der Debatte um eine mögliche Verlängerung stationärer Grenzkontrollen nach dem Ende der Fußballeuropameisterschaft in der BRD für eine Fortsetzung strengerer Kontrollen sowie zugleich für offene Grenzen ausgesprochen. Wer für den politisch erwünschten Grenzverkehr durch »Pendler, Reisende, Händler und Unternehmen« das »hohe Gut der europäischen Freizügigkeit« bewahren wolle, müsse die Grenzen für »Schleuser, Drogenschmuggler und Automatensprenger« so undurchdringlich machen »wie irgend möglich«. Das erklärte Wüst gegenüber dem Kölner Stadt-Anzeiger (Dienstagausgabe). In Bild forderten am Dienstag die Parteichefs von CDU und CSU: »Die Grenzkontrollen müssen bleiben!«

Der sogenannte Schengen-Raum sieht grundsätzlich keine Grenzkontrollen im Inneren vor und setzt im Gegenzug auf restriktiveres Vorgehen an den Außengrenzen. Die in der Regel kontrollfreien Binnengrenzen dürfe das organisierte Verbrechen Wüst zufolge »nicht als Einladung verstehen, um ihr Geschäftsfeld nach Deutschland auszudehnen«. Der Ministerpräsident sprach dabei von der »Mocro-Mafia«, wobei das Wort »Mocro« niederländischer Slang für Marokko ist.

Wüsts Vorstoß erfährt Unterstützung aus Baden-Württemberg. Innenminister Thomas Strobl (CDU) sah ebenfalls den Bedarf für eine Verlängerung, »bis wir eine nachhaltige Sicherung an den EU-Außengrenzen haben«. Strobls Justizministerin Marion Gentges (CDU) sprach sich am Dienstag ebenfalls für die EM-Grenzkontrollen aus und verwies auf gesunkene Zahlen bei Asylanträgen in den vergangenen Monaten. Diese seien den Kontrollen zu verdanken, behauptete Gentges. Der momentane Rückgang der Asylanträge könne maximal eine Atempause bedeuten, sagte die auch für Migrationspolitik zuständige Ministerin. Während der EM seien 1.112 Haftbefehle vollstreckt, 8.300 unerlaubte Einreisen registriert und mehr als 100 sogenannte Hooligans an der Einreise in die BRD gehindert worden, hatte das Bundesinnenministerium am Montag bilanziert. Allein im Juni seien außerdem rund 150 der »Schleusertätigkeit« beschuldigte Personen festgenommen worden.

Innenministerin Nancy Faeser (SPD) ordnete derweil vorübergehende Grenzkontrollen an der Grenze zu Frankreich für den Zeitraum vom 26. Juli bis 11. August an. Damit solle vor und während der Olympischen Spiele in Paris gemeinsam mit den französischen Behörden für mehr Sicherheit gesorgt werden. Am kommenden Freitag hingegen sollen die EM-Kontrollen an den Grenzen zu Dänemark, den Niederlanden, Belgien und Luxemburg auslaufen. Dort werde wieder auf die sogenannte Schleierfahndung mit »gezielten Kontrollen« umgestellt, wie es in der entsprechenden Ankündigung hieß.

An den Landesgrenzen zu Österreich, der Schweiz, Tschechien und Polen fänden laut Faeser weiter Grenzkontrollen statt, um »irreguläre Migration« zu begrenzen und »Schleusungskriminalität« zu bekämpfen. Befristet sind die Mitte Oktober 2023 wiedereingeführten Kontrollen für die Schweiz, Tschechien und Polen bis zum 15. Dezember. An der Grenze zu Österreich gelten die Grenzkontrollen bereits seit Herbst 2015, angeordnet sind sie dort bis zum 11. November.

Die Berufsvereinigung »Gewerkschaft der Polizei« kritisiert, dass die Forderungen nach dem Beibehalten der EM-Kontrollen personell nicht zu leisten seien. Doch die »Deutsche Polizeigewerkschaft« widersprach am Dienstag. »Man hat gesehen, wie erfolgreich die Kontrollen waren und welchen Bedarf es gibt«, sagte DPolG-Landeschef Ralf Kusterer. Die Maßnahmen seien »sicherheitspolitisch notwendig«.

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