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Aus: Ausgabe vom 17.07.2024, Seite 5 / Inland
Klimaschutzgesetz

Schlechter als frühere Gesetze

Klimaschutzgesetz in Kraft. Umwelthilfe reicht Verfassungsschutzbeschwerde ein. Günstiger ÖPNV wäre das mindeste
Von Wolfgang Pomrehn
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Mobilität für die Allgemeinheit statt Sponsoring von Luxuskarossen für Spitzenverdiener, fordert ein Verbändebündnis

In allerletzter Minute hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Montag die Änderungen am Klimaschutzgesetz unterschrieben. Damit sind diese gerade noch in Kraft getreten, um weitere Gesetzesverstöße des Bundesverkehrsministers zu verhindern. Andernfalls hätte dieser, wie berichtet, am Montag einen Katalog von Sofortmaßnahmen vorlegen müssen, um die Treibhausgasemissionen im Verkehr endlich zu senken. In der alten Fassung des Gesetzes hatte es Verbindlichkeiten für das jährliche Absenken der Emissionen in den einzelnen Sektoren gegeben, die nun entfallen.

Der Bundespräsident hatte sich mit der Prüfung des bereits Mitte Mai beschlossenen Gesetzes ungewöhnlich viel Zeit gelassen. Jetzt heißt es aus seinem Amt in einer dürren Begründung, »dass evidente Verfassungswidrigkeit nicht gegeben« sei. Ist der Rückschritt im Klimaschutz also mit dem Grundgesetz kompatibel? Immerhin war dieses 2021 aufgrund eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts verschärft worden.

Bei der Deutschen Umwelthilfe (DUH) ist man sich ziemlich sicher, dass die neue Gesetzesfassung vor den Augen der Verfassungsrichterinnen und -richter keinen Bestand haben wird. Bereits am Dienstag, als das neue Gesetz gerade im Bundesgesetzblatt erschienen und damit in Kraft getreten ist, schickte die DUH per Boten eine 205seitige Verfassungsbeschwerde nach Karlsruhe.

Der Klage sind elf Beschwerdeführer beigetreten – nach DUH-Angaben im wesentlichen die jungen Erwachsenen, die bereits im März 2021 das Urteil gegen das Klimaschutzgesetz erwirkt hatten. Karlsruhe hatte seinerzeit geurteilt, dass der Gesetzgeber durch unzureichenden Klimaschutz in der Zukunft sehr viel drastischere Maßnahmen notwendig werden lasse. Damit würden die Freiheitsrechte künftiger Generationen eingeschränkt.

Remo Klinger, der die DUH in der neuen Klimaschutzklage vertritt, sieht mit den nun erfolgten Änderungen diesen Zustand wieder hergestellt. Die richtig großen Schritte würden mit der neuen Gesetzesfassung erst nach 2030 erfolgen müssen. Klinger zeigte sich zuversichtlich, dass die Kläger auch diesmal beim Verfassungsgericht recht bekommen. Die beiden Verfassungsbeschwerden von Greenpeace und anderen sieht er als willkommene Ergänzung. Man habe sich untereinander abgesprochen.

Die DUH hat in den vergangenen Jahren bereits mehrfach in unteren Instanzen mit Klagen gegen Klimaschutzprogramme und -berichte der Bundesregierung recht bekommen. Da diese jeweils in Revision gegangen ist, sind zwei Verfahren jetzt vor dem Bundes- und zwei vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg anhängig. Klinger spricht von einer systematischen Verletzung des alten Klimaschutzgesetzes, die ein Novum im deutschen Umweltrecht sei.

»In Deutschland blockieren fossile Energie- und Autokonzerne eine wirksame Klimapolitik«, kritisiert DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch. Anstatt endlich die Emissionen im Verkehr abzusenken, »weitet die Ampelregierung die finanzielle Förderung von Luxusgeländewagen mit Verbrennungsmotoren aus und schwächt gezielt den Schienengüter- und Personenverkehr«.

Klimaschutz spielt auch in den derzeit laufenden Haushaltsverhandlungen eine Rolle. Am Dienstag hat ein Bündnis diverser Verbände, darunter die Klima-Allianz, Greenpeace und der Automobilclub Europa (ACE), gefordert, für Preisstabilität beim 49-Euro-Ticket zu sorgen, statt neue Begünstigungen für Dienstwagen einzuführen. Hunderte Millionen an Steuereinnahmen gingen dadurch verloren, was vor allem Spitzenverdienern zugute käme.

»Bei der Transformation in der Mobilität müssen wir alle mitnehmen«, fordert daher die Vorsitzende des Sozialverbandes SoVD, Michaela Engelmeier, und weiter: »Viele können sich aber schon heute die 49 Euro für das Deutschland-Ticket nicht leisten – einen höheren Beitrag erst recht nicht.« Bund und Länder müssten für ein einheitliches Sozialticket sorgen, statt »jetzt auch noch Luxusdienstwagen zu fördern«. In Stadt und Land brauche es einen besseren ÖPNV, damit Menschen aufs Auto verzichten können.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (16. Juli 2024 um 23:46 Uhr)
    Annalena, äh, Marie Antoinette, würde heute sagen: Wenn die Leute kein Auto haben, dann sollen sie doch ein Taxi nehmen.

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