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Aus: Ausgabe vom 17.07.2024, Seite 8 / Ansichten

Zur Kenntlichkeit

Compact-Verbot
Von Felix Bartels
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Bollwerk der Pressefreiheit: Nancy Faeser

Unrecht wird nicht Recht, nur weil es mal den Richtigen trifft. Als das Bundesministerium »für Inneres und Heimat« am Dienstag bekanntgab, dass das rechte Magazin Compact verboten sei, gab es keinen Grund zu trauern. Keine Träne für Elsässer. Der Vorgang aber steht für mehr als bloß sich selbst. Schon länger hobeln deutsche Regierungen an dem, worauf zu stehen sie vorgeben. 2019 ereilte die kurdischen Verlagshäuser Mezopotamien und MIR-Multimedia GmbH wegen PKK-Nähe das Verbot. 2022 untersagte man im Fahrwasser des Ukraine-Kriegs Sputnik und RT Deutsch die Verbreitung in Deutschland. Seit Beginn des Gazakriegs wurden Personen aufgrund israelkritischer Äußerungen Opfer staatlicher Repression. Es kommt nicht darauf an, ob man mit den Betroffenen in jeder Frage übereinstimmt. Es geht ums Prinzip. Und immer wieder vermengen Ministerium und Verfassungsschutz vorsätzlich das Gefahrenpotential von rechts mit der Systemkritik von links.

Der kategorische Imperativ gilt auch im Politischen. Einfacher: Für Linke sind Verbote gegen rechts deswegen interessant, weil es sie als nächstes treffen könnte. Bekanntlich wird die junge Welt vom Verfassungsschutz beobachtet, sie muss vor der Drohkulisse eines möglichen Verbots arbeiten. Unscheinbar, regelrecht beiläufig haben die Behörden rote Linien überschritten. Wenn Innenministerin Nancy Faeser den Beschluss gegen Compact damit begründet, dass man »auch gegen die geistigen Brandstifter vorgehen« muss, wiederholt sie, was Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang am 1. April in der FAZ erklärt hatte: Nicht nur »Gewaltaufrufe« oder konkrete Planung von Gewalt seien Anlass, tätig zu werden, sondern auch die »Delegitimierung« der Bundesrepublik oder eines ihrer politischen Vertreter. Es langt also, dass jemand Kritik am kapitalistischen System übt oder das Grundgesetz durch Bestimmungen über Vergesellschaftung zu erweitern vorschlägt. Es langt, ein fundamentales Urteil zu äußern, um staatlicherseits verfolgt zu werden, selbst dann, wenn die betreffende Person keine Anstalten macht, ihren Worten Taten folgen zu lassen.

Und das berührt eine größere Frage. Im Nebelwort der »wehrhaften Demokratie« kommt ein Widersinn zum Ausdruck, ein ganz logischer aber. Unter dem Vorwand, bürgerliche Freiheit zu schützen, wird bürgerliche Freiheit eingeschränkt. Im Moment des vermeintlichen Notstands zeigt sich, was der Möglichkeit nach immer schon vorlag: Die Werte der bürgerlichen Gesellschaft, auf denen das Selbstverständnis des sich freiheitlich sehenden Staats, mithin das Gefühl moralischer Dignität gegenüber autokratischen Systemen steht, sind nicht universell, sondern partikular. Sie werden abgebaut, sobald es erforderlich scheint. Freiheit wird gepflegt, solange sie nichts kostet. Dass diese Werte zur Stunde – und unter Beifall der Zivilgesellschaft – fallen, ist kein Skandal, es ist ein Wahrheitsereignis. Ein Staat macht sich kenntlich.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

  • Leserbrief von Ecki_C (21. Juli 2024 um 17:24 Uhr)
    Statt mit Sachargumenten zu hantieren, was schwierig ist und Wissen erfordert, macht man es mit Verboten. Freie Meinungsäußerung hat Grenzen, aber die liegen bei den Gerichten. Und das gilt erst einmal für alle Bereiche des Lebens.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Rainer Erich Kral aus Potsdam (17. Juli 2024 um 15:12 Uhr)
    Eine selbsternannte Demokratie, deren angebliche Existenz in diesem Land bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit, lautstark gefeiert wird, zeigt ihr wahres Gesicht. Pressefreiheit und Meinungsfreiheit sind Wesenskerne einer Demokratie. Die Art. 4, 5 und 11 des Grundgesetzes sollen diese gewährleisten. Muss man anhand der Eingriffe in diese Grundrechte, wie im Artikel beschrieben, mehr über die Verfassungsfeindlichkeit der derzeitigen Regierung wissen? Diese Regierung hat wirklich jede Berechtigung eingebüßt, Demokratiedefizite anderer Staaten zu kritisieren.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Uwe H. aus Greding (16. Juli 2024 um 17:51 Uhr)
    Frösi und Atze aus der DDR sind auch verschwunden, RT verboten, nun Compact wie lange gibt’s noch »Junge Welt«? Da möchte ich mal Voltaire zitieren: »Ich teile zwar Ihre Meinung nicht, aber ich würde mein Leben dafür geben, dass Sie diese stets offen äußern können« oder Wolfgang Neumann: »Wer das gegnerische Wort fürchtet, der hat kein Vertrauen ins eigene Argument.«

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