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Aus: Ausgabe vom 17.07.2024, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Energiepolitik

Gasbohrung im Wattenmeer

Förderplattform bei Insel Borkum: Niederländische Energiefirma droht Niedersachsen mit Schadensersatzklage wegen temporärem Baustopp
Von Gerrit Hoekman
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Plakataktivisten: Wollen sich den freien Blick aufs offene Meer nicht versperren lassen (Borkum, 20.1.2023)

Konzerne werden schnell fuchtig, wenn sie ihre Gewinne und Dividenden gefährdet sehen: Das niederländische Energieunternehmen ONE-Dyas droht dem Land Niedersachsen mit einer Klage auf Schadenersatz, falls nicht bald die angeblich versprochene Genehmigung erteilt werde, vor der Nordseeinsel Borkum Gas zu fördern. Das berichtete der NDR am Montag. In einem Brief, der dem Sender vorliegt, schreibt der Vorstandsvorsitzende Chris de Ruyter van Steveninck, sein Unternehmen habe immerhin bereits 300 Millionen Euro investiert.

»ONE-Dyas würde es begrüßen, wenn die beantragten Bescheide zügig erlassen werden, um eine Klärung auf dem Rechtsweg zu vermeiden«, zitierte der Sender den CEO. Dabei hat der Konzern zwar einen Antrag gestellt, über den wurde aber überhaupt noch nicht entschieden. De Ruyter van Steveninck beruft sich in dem Schreiben auf ein Abendessen mit Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) in der deutschen Botschaft in Den Haag am 23. Februar 2023. »Ich war sehr froh, dass Ministerpräsident Weil mir damals versichert hat, dass die niedersächsische Landesregierung das Projekt unterstützt und alles erdenkliche tun wird, um das Genehmigungsverfahren zu beschleunigen.«

Der CEO hält den Grünen-Umweltminister Christian Meyer für den Bremsklotz. Man habe erfolglos versucht, ein Treffen zu vereinbaren, »um die Ansichten von Minister Meyer über das Projekt, die Energiewende und die Versorgungssicherheit zu diskutieren«. Anders gesagt, um ihn weichzuklopfen, damit er Einfluss auf das Verfahren nimmt. Anfang Juni teilte Meyer jedoch mit, das Projekt sei »zur Zeit nicht genehmigungsfähig«. Der zuständige Niedersächsische Landesbetrieb für Wasser-, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) muss noch über ein zu verlegendes Stromkabel entscheiden. Beim Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie (LBEG) ist weiters ein Planfeststellungsverfahren anhängig.

Die »rot-grüne« Landesregierung bleibt norddeutsch gelassen. »Das Schreiben hat keinerlei Einfluss auf die anstehenden Genehmigungen, die das Land Niedersachsen treffen muss«, sagte ein Sprecher des niedersächsischen Wirtschaftsministeriums gegenüber dem NDR. »Die beteiligten Behörden prüfen diese Genehmigungen – auch im Wissen um die besondere Sensibilität des hier betroffenen Naturraums – äußerst gewissenhaft.« Dem Konzern stehe der Klageweg natürlich offen.

»Mit der Androhung von Schadensersatzforderungen übt das Unternehmen illegitimen Druck auf die Politik aus, dem das Land Niedersachsen nicht nachgeben sollte«, zitierte der NDR am Montag Sascha Müller-Kraenner, den Vorsitzenden der Deutschen Umwelthilfe (DUH). Die Drohung des Konzerns sei ein offener Angriff auf ein rechtsstaatliches Genehmigungsverfahren.

Die geplante Gasförderung im Wattenmeer sorgt nicht nur auf Borkum, sondern auch auf dem benachbarten, niederländischen Eiland Schiermonnikoog für Zorn. Die Förderplattform soll ungefähr auf halbem Wege zwischen den Inseln stehen. Im April urteilte das Oberste Gericht in Den Haag, die niederländische Regierung habe ONE-Dyas zu Unrecht eine Erlaubnis erteilt. Das Unternehmen müsse erst noch einige Unterlagen nachreichen, zum Beispiel zum Stickstoffausstoß. »Die klagende Koalition der Naturschutzorganisationen reagierte mäßig positiv auf dieses Urteil. Es bedeutet eine Verschiebung, aber keine endgültige Einstellung der Gasförderung«, kommentierte die niederländische Umweltschutzorganisation »Waddenvereniging« auf ihrer Homepage das Urteil.

Anfang Juni besetzten deutsche und niederländische Aktivisten von Greenpeace die noch unfertige Förderplattform, berichtete der westfriesische Regionalsender Omroep Fryslân. Gleichzeitig versuchen Umweltgruppen aus beiden Ländern, das Projekt auf juristischem Weg zu verhindern. Am 21. Juni konnte ONE-Dyas vor dem Obersten Gericht der Niederlande allerdings einen Teilerfolg erringen – der zuvor verhängte vorläufige Baustopp für die Plattform wurde wieder aufgehoben. Dem Eilantrag der DUH wurde nicht stattgegeben. Noch aber haben die Gerichte nicht über die Klage deutscher und niederländischer Umweltschutzgruppen entschieden, die Gasförderung im Wattenmeer zu untersagen. ONE-Dyas wird sich also noch etwas gedulden müssen.

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