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Aus: Ausgabe vom 17.07.2024, Seite 10 / Feuilleton
Kunst

Auf einer halben Schrankwand

Vom urbanen Leben der Metropolen fasziniert: Eine Retrospektive des Werkes von Louise Rösler in Frankfurt am Main
Von Herbert Bauch
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Louise Rösler: »Mein Pariser Zimmer« (1934, Öl auf Leinwand)

Das Museum Giersch der Goethe-Universität in Frankfurt am Main präsentiert mit über 160 Leihgaben das Schaffen der etwas in Vergessenheit geratenen Künstlerin Louise Rösler, deren Werk zu den interessantesten und wichtigsten Positionen der deutschen Kunst des 20. Jahrhunderts zu rechnen ist. Die Retrospektive »Paris, Königstein, Berlin. Louise Rösler (1907–1993)« zeigt die vielseitigen und bunten Arbeiten einer experimentierfreudigen Künstlerin, die Gemälde, Farb- und Filzstiftarbeiten, Aquarelle, Gouachen, Pastelle, Druckgraphiken und Collagen schuf. Die Faszination der Großstadt prägte ihre Kunst.

Rösler, 1907 in Berlin geboren, entstammte einer Künstlerfamilie und studierte zunächst an der privaten Kunstschule von Hans Hofmann in München. 1925/26 besuchte sie die Klasse von Karl Hofer für Malerei an den staatlichen Schulen für freie und angewandte Kunst in Berlin. Von 1927 bis 1932 lebte sie in Paris, nahm vermutlich kurzzeitig Unterricht an der Académie Moderne bei Fernand Léger. Mehrere Studienreisen führten sie durch Südeuropa. Auch beteiligte sie sich an Ausstellungen der Berliner Secession und der Preußischen Akademie der Künste in der Hauptstadt. Zu diesem Zeitpunkt, bis in die 1930er Jahre hinein, ist sie der Gegenständlichkeit verpflichtet. Einzelne Bilder zeigen den Einfluss der französischen Avantgarde, so von Paul Cézanne in »Hotel in Südfrankreich« (1927) oder von Henri Matisse in dem Bild »Mein Pariser Zimmer« (1934), das ihren lebenslangen Sehnsuchtsort verkörpert.

1933 kehrte die Künstlerin nach Berlin zurück und heiratete den Maler Walter Kröhnke. Die Rückkehr veränderte auch ihre Motivwahl. Die von der Metropole ausgehenden visuellen Reize griff sie auf, setzte das urbane Leben in gegenständliche Bilder um: Straßenszenen, auch Cafés und Bahnhöfe.

Öffentliche Ausstellungen nach der Machtübergabe an die Nazis scheint es von ihr nicht mehr gegeben zu haben. Rösler stellte nun im eigenen Atelier gemeinsam mit ihrem Ehemann »für den engsten Freundeskreis« aus. In dieser Zeit entstanden auch zwei Ölarbeiten, die das Sujet Zirkus aufgreifen, eine phantasievolle Welt – die unter anderem schon Max Beckmann, Otto Dix, Paul Klee oder Franz Marc inspirierte –, und möglicherweise Röslers Gegenentwurf zum braunen Alltag bildeten. Walter Kröhnke wurde schon zu Kriegsbeginn zur Wehrmacht eingezogen, ihre gemeinsame Tochter Anka kam nur Monate später zur Welt, während der Vater, 1944 an die Ostfront abkommandiert, nicht mehr zurückkehrte. Weitere Schicksalsschläge sollten folgen.

1943 zerstörte ein Bombenangriff die Atelierwohnung des Künstlerpaares. Louise Rösler wurde danach mit ihrer kleinen Tochter ins hessische Königstein evakuiert. Dort lebte sie in prekären Verhältnissen, als Frau, als Malerin, alleinerziehend. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gelang ihr ein künstlerischer Neuanfang. Waren ihre Arbeiten bis zu diesem Zeitpunkt gegenständlich geprägt, löste sich Rösler nun zunehmend von dieser Darstellungsform, verdichtete die als gleichwertig erachteten einzelnen Bildelemente zu einem kleinteiligen, flächigen Bildgefüge. »Die Prozession« (1946/47), gemalt »auf eine halbe Schrankwand« – hier wird die Knappheit an Malutensilien in jenen Jahren deutlich –, ordnet die Künstlerin selbst als ein Schlüsselwerk ein. Nach dem Ende der Nazidiktatur konnte sie 1946 erstmals öffentlich wieder ausstellen. Sie beteiligte sich an der Schau »Neue deutsche Kunst« in Konstanz und in Kassel an der Exposition »Kunst in der Gegenwart«.

In den 1950er Jahren entstanden verstärkt Collagen. Auf der Straße gefundene Papierfetzen und schillernde Stanniolpapiere fließen jetzt als Teil der Bildkompositionen in ihre Arbeiten ein. Hinzu kommen Folien, Perlen und Stoff, teils auch Ölfarben. Die so entstandenen Arbeiten werden mit aquarellierten und gezeichneten Elementen verbunden und verschmelzen zu einem mosaikhaften Ganzen. Jahrzehnte später kamen noch weitere Materialien hinzu: Holz, Metall, Plastik.

1959 kehrte die Malerin nach Berlin zurück, um dort ihre künstlerische Arbeit fortzusetzen. Ab den 1960er Jahren wird die Bewegung innerhalb ihrer Bildkomposition immer mehr zum zentralen Gestaltungselement. In späteren Jahren werden die einzelnen Bildelemente wieder in größeren, zusammenhängenden Partien gefasst, teilweise ergänzt um Fundstücke.

Zu Beginn der 1970er Jahre schuf sie auch reizvolle Assemblagen: Schuhspanner auf einen Holzuntergrund montiert und die Objekte mit Bronze oder Ölfarbe überzogen. Louise Rösler war bis zu ihrem Lebensende künstlerisch tätig. Ihr letztes Werk »Rothen­baumchaussee« entstand wenige Monate vor ihrem Tod. Sie starb am 25. Juni 1993.

»Paris, Königstein, Berlin. Louise Rösler (1907–1993)«, Museum Giersch der Goethe-Universität, Frankfurt am Main, bis 25. August 2024

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