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Aus: Ausgabe vom 17.07.2024, Seite 14 / Feuilleton

Rotlicht: Wehrpflicht

Von Jörg Kronauer
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Wieder verstärkt gefragt: Personal für die Bundeswehr

Die Wehrpflicht ist, wenn man so will, eine treue Begleiterin der Großmächtekonfrontation. Hochkonjunktur hatte sie im Kalten Krieg. In der Bundesrepublik im Jahr 1956 und damit fast unmittelbar nach der Gründung der Bundeswehr eingeführt, sicherte sie stetigen Menschennachschub für die Truppe. Die umfasste seit den 1960er Jahren mehr als 400.000, seit den 1970er Jahren fast eine halbe Million Männer. Militärs hielten das für notwendig, um im Kriegsfall jederzeit die gewaltigen Schlachten schlagen zu können, von denen Strategen damals ausgingen. Der Waffengang, auf den man sich vorbereitete, war ja schließlich einer der NATO gegen die Armeen der Warschauer Vertragsorganisation. Da zählte Masse, da zählte Kanonenfutter. Ohne Wehrpflicht, das schien klar, kam man an genug Personal nicht heran.

Mit dem Ende des Kalten Kriegs, dem Ende der Großmächtekonfrontation, verlor auch die Wehrpflicht an Bedeutung. Die Kriege, die man seit den 1990er Jahren im Sinn hatte oder gar führte, das waren keine, in denen Schlachten zwischen gigantischen Heeren in irgendwelchen Tiefebenen zu erwarten waren. Gegen Jugoslawien wurde ein Luftkrieg geführt, die Bodentruppen stellte freundlicherweise die UÇK. Später ging’s dann gegen die Taliban, die einen Guerillakrieg führten, oder auch gegen Piraten: Alles Szenarien, für die man keine Massen braucht, sondern gut trainierte Spezialisten. Kanonenfutter war nicht mehr gefragt, die Angelegenheit wurde dem Staat zu teuer. Bald ging die Anzahl der Bundeswehr-Soldaten zurück, lag 2011 nur noch bei knapp mehr als 200.000 – und schrumpfte weiter. Der Bundestag setzte die Wehrpflicht, weil sie nur noch sinnlos Geld zu kosten schien, zum 1. Juli 2011 aus.

Es dauerte keine drei Jahre, da war die Großmächtekonfrontation mit der Eskalation des Ukraine-Konflikts wieder zurück. Es setzte sich die Überzeugung durch, man werde künftig wohl doch eher mehr Soldaten benötigen als gedacht. Ursula von der Leyen, die damalige Bundesverteidigungsministerin, startete im Jahr 2016, als die Zahl der Soldaten auf weniger als 178.000 gefallen war, ihre »Trendwende Personal«. Es half kaum, diverse und aufwendige Werbekampagnen der Militärs zogen nicht so recht: Nach ein wenig Hin und Her in der Truppenstärke zählte die Bundeswehr im Jahr 2023 keine 182.000 Soldaten. Dabei war im Vorjahr klar geworden, dass man sich inzwischen in einer immer ernster eskalierenden Großmächtekonfrontation befand. Und der Ukraine-Krieg zeigte, womit viele im Zeitalter der Hightechdrohnen- und Roboterkriege kaum noch gerechnet hatten: An der Front kommt es immer noch auf blanke Personalstärke an; wieder wichtig geworden war das altbekannte Kanonenfutter.

Weil nun die »Trendwende Personal« nicht greift und weil die Bundeswehr aus allerlei recht naheliegenden Gründen eben nicht der attraktive Arbeitgeber ist, als der sie sich inszeniert, muss dann, so sieht es jedenfalls von der Leyens amtierender Nachfolger Boris Pistorius, die Wehrpflicht wieder her. Wobei Pistorius auch nicht die stumpfe alte Wehrpflicht für alle wünscht. Die wäre in der Tat auch sehr teuer; zöge man ganze Jahrgänge ein, dann kostete das laut Berechnungen des Münchner Ifo-Instituts bemerkenswerte 1,6 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung, nahezu 70 Milliarden Euro. Man könnte alle Aufrüstungsvorhaben einstampfen und hätte die Zwei-Prozent-Hürde der NATO immer noch locker geknackt. Pistorius setzt deshalb auf eine Art Wehrpflicht à la carte wie in Schweden: Alle Männer und Frauen im wehrpflichtigen Alter bekommen Post von der Truppe; Männer müssen antworten, ein Teil von ihnen wird zur Musterung ausgewählt, und von diesen werden die Fähigsten einberufen. Zieht man fünf Prozent eines Jahrgangs ein – so in etwa ist es in Schweden der Fall –, dann halten sich die Kosten mit rund drei Milliarden Euro halbwegs in Grenzen. Und falls noch Kanonenfutter fehlen sollte: Das stellen dann Reservisten. Die kosten so gut wie nichts.

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