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Aus: Ausgabe vom 17.07.2024, Seite 15 / Antifaschismus
Rechtsruck in Sachsen-Anhalt

Wahlsieg für ehemaligen Neonazikader

Sachsen-Anhalt: Früherer HDJ-Chef wird neuer Ortsbürgermeister in Dessau-Roßlau
Von Steve Hollasky
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Rathaus ganz rechts: Blick auf die Türme von Dessau-Roßlau (9.5.2023)

Der frischgebackene Ortsbürgermeister von Dessau-Roßlau präsentiert sich freundlich und bürgernah. Fallschirmjäger bei der Bundeswehr sei er gewesen, habe Reisen durch Europa gemacht und greife auch gern mal zur Gitarre, so eine Selbstbeschreibung in sozialen Medien. Bis 2009 sei der neue Amtsinhaber darüber hinaus stellvertretender Bundesvorsitzender der extrem rechten »Heimattreuen Deutschen Jugend« (HDJ) gewesen, erklärte Oliver Wiebe, Sprecher des sachsen-anhaltischen Landesverbands der Linkspartei, am Montag gegenüber junge Welt. Damit sei Laurens Nothdurft bis zu deren Verbot an leitender Stelle in der HDJ aktiv gewesen. Diese wollte Jugendliche im Geist des »Dritten Reichs« der Nazis erziehen und war für zahlreiche Neonazikader eine Art Karrierestation. Auch für die faschistische Partei »Die Heimat« war Nothdurft aktiv, wie die Süddeutsche Zeitung (SZ) 2019 berichtete.

Mit sechs zu drei Stimmen hat sich der AfD-Politiker, der für die »Bürgerliste Roßlau« in den Ortschaftsrat eingezogen war, gegen Klemens Koschig (Neues Forum) durchgesetzt, wie die Mitteldeutsche Zeitung (MZ) am Mittwoch vergangener Woche berichtete. Zwei Stimmzettel waren demnach ungültig. Die vorherige Ortsbürgermeisterin, Christa Müller (CDU), wollte das Amt nicht noch einmal ausüben, wurde aber zur ersten Stellvertreterin gewählt. Zweiter Stellvertreter ist Jörn von der Heydt, ebenfalls auf dem Ticket der »Bürgerliste« im Ortschaftsrat und Spitzenkandidat bei der zurückliegenden Kommunalwahl. Von der Heydt war Geschäftsführer einer Heizungsfirma und einst Mitglied der CDU. Seine Liste verfügt über insgesamt vier Mandate und stellt damit die stärkste Fraktion. Bei der Ortschaftsratswahl reichte es für 1.749 Stimmen, laut MZ das zweitbeste Wahlergebnis.

Inzwischen ist Nothdurft einer der führenden Kader der AfD. Allerdings holte ihn dort seine Vergangenheit ein. Der Artikel in der SZ hatte damals dazu geführt, dass er als gerade neuer Justitiar der bayerischen Landtagsfraktion im April 2019 seinen Hut hatte nehmen müssen. Die HDJ steht auf einer Unvereinbarkeitsliste der AfD. Wer dieser Organisation einmal angehört hatte, soll der Partei nicht beitreten können. Die Mitgliedschaft des früheren Chefs der brandenburgischen Landtagsfraktion der AfD, Andreas Kalbitz, war seinerzeit aus diesem Grund annulliert worden. Auch er hatte an Camps der HDJ teilgenommen. Seit 2021 ist Nothdurft Mitarbeiter der AfD-Landtagsfraktion in Sachsen-Anhalt. Wer sich noch unsicher sein sollte, ob sich die AfD in den letzten Monaten und Jahren weiter nach rechts entwickelt hat, müsse sich nur diese Personalie genauer ansehen, empfahl Wiebe auf jW-Anfrage.

Nach seinem Wahlsieg habe Nothdurft den Räten laut MZ erklärt, dass er sein Amt »zum Wohl für Roßlau überparteilich und mit ihnen allen gemeinsam ausüben« wolle. Für die mobile Opferberatung »Gegenpart« zeigt die Wahl des früheren HDJ-Kaders die Bereitschaft zu einem »gefährlichen Schulterschluss mit der extremen Rechten«, wie ein Sprecher der Organisation am Montag gegenüber junge Welt kritisierte. Immerhin sei Nothdurfts Vergangenheit auch im Wahlkampf Thema gewesen – was Teile der Abgeordneten des Ortschaftsrats nicht davon abgehalten habe, ihm die Stimme zu geben. Es sei zu befürchten, dass die Entscheidung des Ortschaftsrats das Selbstbewusstsein der extremen Rechten weiter stärken könnte.

Wer indessen hofft, Nothdurft und seine »Bürgerliste« würden der Armut in Dessau-Roßlau etwas entgegensetzen, dürfte enttäuscht werden. Armut wird im Programm der »Bürgerliste« nicht einmal erwähnt. Statt dessen will man »die Wirtschaft« fördern.

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