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Aus: Ausgabe vom 20.07.2024, Seite 8 / Inland
Abschieben in den Iran

»Sie würden wahrscheinlich inhaftiert werden«

Berlin: Zwei Kurdinnen drohte Abschiebung in den Iran über die Türkei. Unterstützer konnten dies verhindern. Ein Gespräch mit Jelena Bellmer
Interview: Gitta Düperthal
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Iran: Eine Frau läuft an der ehemaligen US-Botschaft vorbei (Teheran, 12.9.2023)

Fast wäre eine kurdische Aktivistin der Frauenbewegung aus Berlin zusammen mit ihrer Großmutter am Montag über die Türkei in den Iran abgeschoben worden. Die Abschiebung konnte durch engagierte Geflüchtetenunterstützer verhindert werden – wie genau?

Wir haben alles getan, was an rechtlichen Mitteln und Öffentlichkeitsarbeit möglich war, um die beiden auf die Schnelle vor der Abschiebung zu retten. Aktivisten haben am Flughafen BER protestiert. Sie haben Fluggäste auf den Fall aufmerksam gemacht und versucht, den Piloten anzusprechen. Beiden Iranerinnen hatte die Abschiebung erstmals am Donnerstag vergangener Woche gedroht. Sie waren am 23. Juni eingereist. Ihre Asylanträge hatte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, BAMF, nach der Anhörung im Flughafenschnellverfahren abgelehnt. Das Verwaltungsgericht Potsdam lehnte am 10. Juli den Eilantrag ihres Anwalts ab. In der Hauptsache läuft das Verfahren.

Sie waren ohne Pässe eingereist. Aufgrund einer Rückbeförderungspflicht muss die Fluggesellschaft Menschen, die an der Grenze zurückgewiesen werden, wieder dort hinbringen, wo sie herkommen, in dem Fall in die Türkei. Die Gefahr hätte bestanden, dass sie von dort aus zurück in den Iran abgeschoben werden.

Die Betroffene »wäre womöglich in den Tod abgeschoben worden«, meinte der im Fall engagierte Linken-Abgeordnete Ferat Koçak.

Bei der Anhörung des kurdischen Mädchens wurde klar: Sie war an Protesten im Iran gegen das Regime auf der Straße und an ihrer Schule beteiligt. Gegen solche Schülerinnen gab es dort Repressionen. Einige wurden entführt, andere verschwanden einfach. Um ein Wiedererkennen zu gewährleisten, wurden die Schülerinnen gefilmt. Das macht es im Fall einer Wiedereinreise in den Iran wahrscheinlich, dass eine Inhaftierung droht. Seit der gewaltsamen Festnahme und dem Tod der jungen kurdischstämmigen Iranerin Jina Mahsa Amini im September 2022, die gegen das staatlich verordnete Zwangstragen des Hidschabs protestiert hatte, gibt es viele Hinrichtungen.

Wie kann es zu solchen Entscheidungen bei Abschiebungen kommen?

Da diese Flughafenschnellverfahren so eilig geführt werden, kommt es oft zu Fehlern. Asylsuchende müssen vorbereitet in eine Anhörung gehen können und eine rechtliche Vertretung proaktiv zur Verfügung gestellt bekommen. In dem Fall lag es nur an Verwandten, die schon in Deutschland leben, dass Kontakt zu einem Anwalt hergestellt wurde. Am BER gibt es entsprechende Beratungsstrukturen nicht.

Die Gefahr in solchen Fällen ist so schwerwiegend, dass sie nicht im Flughafen entschieden werden dürfen. Es muss eine Einreise erfolgen, damit im Hauptsacheverfahren sorgfältig geprüft werden kann. Genau das passierte jetzt auf öffentlichen politischen Druck hin. Nachdem wir alle Hebel in Bewegung gesetzt hatten, ließ die Bundespolizei die Iranerinnen einreisen. Es darf nicht sein, dass junge Aktivistinnen, die für Demokratie und Frauenrechte eintreten, in ihrem Herkunftsland einer Gefahr preisgegeben werden und sie das möglicherweise mit ihrem Leben bezahlen müssen.

Kennen Sie ähnliche Fälle?

Es ist die Ausnahme, dass Iraner direkt im Flughafenverfahren abgelehnt werden. Die Anerkennungsquote für Schutzsuchende aus dem Land hat sich aber seit Beginn der »Jin, Jiyan, Azadî«-Proteste im September 2022 nicht wirklich verändert. 2021 lag sie bei 38,5 Prozent, 2023 bei 45 Prozent, im ersten Quartal 2024 bei 39 Prozent. In über 50 Prozent der Fälle korrigieren Gerichte die BAMF-Entscheidungen. Das zeigt, dass die Praxis des BAMF dringend korrigiert werden muss.

Denken Sie, das ist auf eine durch den Rechtsruck geprägte Stimmung in der BRD zurückzuführen?

Freilich stehen auch Menschen, die solche Entscheidungen treffen, unter dem Einfluss einer gesellschaftlichen Debatte, die in die Richtung geht, mehr Abschiebungen zu fordern. An diesem Fall der Iranerinnen ist aber zu sehen, wie wirkmächtig öffentlicher Druck einer Zivilgesellschaft ist.

Jelena Bellmer ist bei Pro Asyl für Rechtspolitik und in der Einzelfallberatung tätig

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