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Aus: Ausgabe vom 22.07.2024, Seite 7 / Ausland
IGH-Gutachten

An Klarheit nicht zu überbieten

IGH-Gutachten: Israel weist Illegalität der Besetzung zurück, Palästina sieht sich im Kampf um Selbstbestimmung gestärkt
Von Gerrit Hoekman
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Ein Palästinenser vor den Trümmern eines Hauses nach Angriffen von Siedlern auf das Dorf Al-Mughajir in der besetzten Westbank (13.4.2024)

Die Reaktion war erwartbar: »Die jüdische Nation kann keine Besatzerin in ihrem eigenen Land sein, weder in unserer ewigen Hauptstadt Jerusalem noch in Judäa und Samaria, unserer historischen Heimat«, kommentierte der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu am Freitag auf X das Gutachten des Internationalen Gerichtshofs (IGH) in Den Haag. Mit dieser Haltung ist Israel in der Staatengemeinschaft jedoch weitgehend isoliert, wie am Wochenende Reaktionen aus der ganzen Welt zeigten.

Für den palästinensischen Außenminister Riad Al-Maliki ist das Gutachten, das die Illegalität der 57jährigen israelischen Besetzung feststellt, »ein Wendepunkt für Palästina, für Gerechtigkeit und für das Völkerrecht«. Das palästinensische Volk habe jahrzehntelang unerträgliches Leid und Ungerechtigkeit ertragen. »Dieses Urteil ist eine Rechtfertigung seiner Standhaftigkeit und seines Durchhaltevermögens. Dieses Recht darf nicht länger verweigert oder aufgeschoben werden«, zitierte die Internetzeitung Palestine Chronicle am Sonnabend den Chefdiplomaten. »Das Gericht hat klargestellt, dass das palästinensische Volk der einzige Souverän in den besetzten palästinensischen Gebieten einschließlich Ostjerusalem ist und dass die internationale Gemeinschaft nicht nur die Verpflichtung hat, das Selbstbestimmungsrecht des palästinensischen Volkes zu bekräftigen, sondern auch dafür zu sorgen, dass dieses Recht unverzüglich umgesetzt wird.«

Der IGH hat aber bekanntlich selbst keine Handhabe, Israel zur Umsetzung zu zwingen. Er ist auf die Maßnahmen seiner Mitgliedstaaten angewiesen, und hier liegt der Hase im Pfeffer. Die USA, Israel treuester Verbündeter und größter Waffenlieferant, missbilligen zum Beispiel das Gutachten. »Wir sind besorgt, dass die Breite der Stellungnahme des Gerichts die Bemühungen zur Lösung des Konflikts und zur Herbeiführung eines dringend benötigten gerechten und dauerhaften Friedens mit zwei Staaten, die Seite an Seite in Frieden und Sicherheit leben, erschweren wird«, zitierte Reuters das US-Außenministerium. Anscheinend ist Washington entgangen, dass das israelische Parlament vergangene Woche der Zweistaatenlösung von sich aus eine Absage erteilt hat.

Die wirtschaftlich mächtige Europäische Union begrüßt das Gutachten. »In einer Welt zunehmender Verstöße gegen das Völkerrecht ist es unsere moralische Pflicht, unser unerschütterliches Engagement für alle Entscheidungen des IGH zu bekräftigen«, erklärte der Außenbeauftragte der EU, Josep Borrell, auf X. Was Brüssel zu tun gedenke, um dem IGH-Urteil Geltung zu verschaffen, ließ Borrell allerdings wie gehabt offen. »Die Europäische Union nimmt das Gutachten des Internationalen Gerichtshofs (…) zur Kenntnis«, meldete der offizielle European External Action Service (EEAS), es müsse »gründlich analysiert werden, auch im Hinblick auf seine Auswirkungen auf die EU-Politik«. Offenbar hofft die EU, noch ein Hintertürchen zu finden, um Israel nicht politisch unter Druck setzen oder gar Sanktionen wie gegen Russland verhängen zu müssen.

Das Gutachten lässt nämlich an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Im Hinblick auf die vom IGH ausgesprochene Verpflichtung für alle Staaten, »die durch die unrechtmäßige Anwesenheit des Staates Israel in den besetzten palästinensischen Gebieten entstandene Situation nicht als rechtmäßig anzuerkennen«, fasste Außenminister Al-Maliki den Inhalt für all jene zusammen, die es immer noch nicht verstanden haben: »Keine Hilfe. Keine Unterstützung. Keine Komplizenschaft. Kein Geld, keine Waffen, kein Handel … keinerlei Aktionen zur Unterstützung der illegalen Besatzung Israels«, zitiert ihn Reuters.

Einige EU-Mitglieder wagen sich etwas mehr aus der Deckung: »Belgien wird immer für die Einhaltung des Völkerrechts eintreten«, schrieb Außenministerin Hadja Lahbib auf X. Spanien fordert die internationale Gemeinschaft auf, »die Schlussfolgerungen des Gutachtens zu berücksichtigen und diesbezüglich die entsprechenden Maßnahmen zu ergreifen«.

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