75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Gegründet 1947 Sa. / So., 07. / 8. September 2024, Nr. 209
Die junge Welt wird von 2927 GenossInnen herausgegeben
75 Ausgaben junge Welt für 75 € 75 Ausgaben junge Welt für 75 €
75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Aus: Ausgabe vom 27.07.2024, Seite 3 (Beilage) / Wochenendbeilage

Interessen und Realität

Von Arnold Schölzel
schwarzer kanal 1100 x 526.png

Fern vom deutsch-hurrapatriotischen »Kriegstüchtigkeits«-Gedröhn einschließlich »Putin will nicht verhandeln«-Gebetsmühle und Gekeife gegen Viktor Orbán diskutieren außenpolitische Fachleute in den USA, welche Möglichkeiten für Frieden in der Ukraine vorhanden sind. So fragt am Freitag das Washingtoner Internetportal ­Responsible Statecraft (RS): »Wendet sich Kiew an Beijing als potentiellen Friedensstifter?« RS-Reporter Blaise Malley wertet den Besuch des ukrainischen Außenministers Dmitro Kuleba in China als Zunahme »subtiler Zeichen« dafür, »dass die Ukraine zu diplomatischen Kontakten mit Russland bereit ist«.

Pessimistisch blickt dagegen das US-Fachorgan Foreign Affairs am Donnerstag auf den Krieg und verlangt, bei Waffenlieferungen nicht mehr zu kleckern, sondern zu klotzen: Bidens »Strategie, schrittweise Hilfe zu leisten«, werde »die letztendliche Zerstörung der Ukraine nicht verhindern und die USA in einem Krieg festhalten, der keinen Weg zum Sieg bietet«. Sie sei auch politisch nicht tragfähig: »Nach Jahrzehnten zutiefst unpopulärer ›ewiger Kriege‹ können die amerikanischen Führer nicht länger unbegrenzte finanzielle Mittel und Waffenlieferungen auf der Grundlage einer Strategie versprechen, die keine Aussicht auf Erfolg hat.« Daher sollte es das Ziel der USA sein, den Krieg »schnell zu beenden, der Ukraine zu helfen, Russland zu besiegen und Moskau dabei von weiteren imperialen Ambitionen abzuhalten«. Nach der Stabilisierung Europas »könnte Washington seine Bemühungen auf den asiatischen Schauplatz konzentrieren, wo es einer drohenden Bedrohung durch China gegenübersteht«. Zugleich gelte: »Selbst im besten Fall gibt es keinen Grund, eine Niederlage Russlands zu erwarten, die so dramatisch wäre, dass sie Moskaus strategische Perspektive grundlegend ändern würde. Russland wird eine mächtige Atommacht bleiben und große Bestrebungen hegen, seine imperiale Größe wiederherzustellen.« Dafür aber brauche es die Ukraine, ohne die sei es »nur eine asiatische Macht, die gegenüber China rasch an Boden verliert«. Es sei »an der Zeit, dass der nächste US-Präsident entschlossen handelt«.

Eine dritte Perspektive legt der frühere US-Botschafter Zalmay Khalilzad in der Internetausgabe der Zeitschrift The National Interest am Dienstag unter der Überschrift »Den Krieg in der Ukraine beenden: Ein möglicher Fahrplan für den Frieden« vor. Sein Text orientiert sich an den Interessen der USA, der Ukraine, Russlands und Chinas. Das sich daraus ergebende Hauptargument Khalilzads lautet: »Möglicherweise legt Russland noch immer genug Wert auf die Beziehungen zum Westen, um bei seinen Forderungen gegenüber der Ukraine ­flexibler zu sein.« Die Biden-Administration habe auf Diplomatie gegenüber Russland verzichtet, mit Trump als Präsident seien »ernsthafte Verhandlungen« wahrscheinlich. Militärisch könne weder Kiew noch Moskau gewinnen, der Krieg habe aber »Russland von China, Nordkorea und dem Iran abhängig gemacht«. Es gebe eine lange Geschichte sino-russischer Rivalität, beide hätten unterschiedliche Ziele: Putin wolle Multipolarität, China eine »globale Vormachtstellung mit Russland bestenfalls als Juniorpartner«. Khalilzad: »Moskau glaubt, dass bessere Beziehungen zum Westen, insbesondere zu den USA, seinen Interessen dienen könnten. Ohne ein akzeptables Ende des Ukraine-Kriegs ist dies jedoch höchst unwahrscheinlich.«

Aus deutschen Bürgermedien sind Bemühungen, ein realistisches Bild der internationalen Situation zu gewinnen, verschwunden – Ausnahmen finden sich in Medien der Schweiz und Österreichs. Wer »Kriegstüchtigkeit« alles unterordnet, interessiert sich nicht für Realität.

Aus deutschen Bürgermedien sind Bemühungen, ein realistisches Bild der internationalen Situation zu gewinnen, verschwunden – Ausnahmen finden sich in Medien der Schweiz und Österreichs. Wer »Kriegstüchtigkeit« alles unterordnet, interessiert sich nicht für Realität.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (27. Juli 2024 um 23:22 Uhr)
    Was, RS ist hier noch nicht verboten?

Ähnliche:

  • »Antiamerikanismus« lernt man in der griechischen Linken von Beg...
    27.07.2024

    »Wir erleben die Vorbereitung für den Krieg«

    Über Protest gegen die NATO in Griechenland, Palästina-Solidarität und die Folgen der Syriza-Regierung. Ein Gespräch mit Lamprini Thoma und Ntinos Palaistidis
  • Kein ungewöhnliches Bild: Chinesische Arbeiter schaufeln Sojaboh...
    24.07.2024

    China zieht

    Größter Handelspartner Lateinamerikas: Auch rechte Politiker unter Zugzwang.

Mehr aus: Wochenendbeilage